Polens private Läden trotz siebenfacher Mieten billiger

Bauern brechen mit wohlfeil gebotenem Fleischangebot auf der Straße das Monopol der Fleischvertriebsgenossenschaft „Spolem“ / Doch unorganisierter Handel wirft hygienische Probleme auf: Keine Veterinär-Kontrolle / Teure Bürokratie kämpft verbissen gegen ihre Entflechtung, die segensreich für Bauern und Verbraucher wäre  ■  Aus Warschau Klaus Bachmann

Der klapprige Kleinlaster hält mitten im Warschauer Zentrum. Aus der Fahrerkabine springen ein älterer Mann und seine Frau, die sich schnell weiße Kittel überziehen, aus dem Laderaum eine Bank ziehen und beginnen, die Fleischbrocken aus dem inneren des Lieferwagens darauf zu stapeln. Obwohl das ganze nicht unbedingt hygienisch anmutet, bildet sich sofort eine kleine Schlange um die Bank. Der Grund: Das Fleisch ist „frisch vom Auto“ um 4.000 Zloty (rund 60 Pfennig) pro Kilo billiger als in dem „Spolem„-Laden, vor welchem der Lieferwagen geparkt hat.

„Spolem“ meinte, als „genossenschaftlicher“ Monopolist in Sachen Transport und Verkauf seine immensen Personal- und Verwaltungskosten auf die Konsumenten abladen zu können. Dank der Straßenverkäufer, häufig Bauern, die ihre Eigenproduktion in die Städte fahren, hat sich das nun geändert. In Warschau wird bereits ein Viertel des Fleisch und Wurstumsatzes per Straßenverkauf getätigt. Mit höchst positiven Folgen für den Geldbeutel des Verbrauchers: Die Preise von „Spolem“ sind inzwischen unter das Niveau von vor der Preisfreigabe für Lebensmittel gesunken. Infolge der Preisfrage hatte „Spolem“ erst einmal bis zu 40% auf den Großhandelspreis aufgeschlagen und kassierte ordentlich ab bis die Bauern, die von der Freigabe wenig hatten, zur Selbsthilfe griffen.

Der unorganisierte Verkauf ist nun allerdings seinerseits ins Kreuzfeuer der Kritik geraten. „Sanepid“, wie die polnische Gesundheitspolizei heißt, hat festgestellt, daß ca. 10% des auf der Straße verkauften Fleisches nicht veterinärärztlich untersucht ist. Handelsminister Mackiewicz: „Es sind bereits Fälle von Vergiftungen vorgekommen.“ Mackiewicz will den Handel trotzdem nicht verbieten, obwohl er ohne Rechtsgrundlage abläuft. Statt dessen soll der Handel auf bestimmten Plätzen konzentriert und von Veterinären ständig überprüft werden. Der Anblick von rohen Fleischbrocken auf schmutzigen Holzbänken, mit Fliegen und Staub dabei wird empfindlichen Gemütern dennoch nicht erspart bleiben: Kaum ein solcher Marktplatz verfügt über Kühleinrichtungen, zumeist nicht einmal über fließend Wasser.

Eine Wahl hat Mackiewicz dennoch nicht, solange „Spolem“ die Reform boykottiert. Der Monopolist hat sich bisher kaum bereitgefunden, Läden an private Händler zu vermieten. Reelle Angebote gab's nur in Gegenden, wo sich der Verkauf wegen geringer Nachfrage nicht lohnt. Ansonsten waren die Bedingungen so drakonisch, daß potentielle Mieter abgewunken haben. Aus mietrechtlichen Gründen können Gemeinden, formal häufig Besitzer der Läden, „Spolem“ nicht kündigen. Schon in zwei Wochen berät der Sejm deshalb über eine entsprechende Novelle.

Unterdessen geht der „Handelskrieg“, wie es die 'Gazeta Wyborcza‘ nennt, mit unverminderter Heftigkeit weiter, der Monopolist kämpft mit Haken und Ösen. Ganz im Sinne der Wirtschaftsreform schlug etwa ein Filalleiter eines „Spolem“ -Ladens im Warschauer Stadtteil Praga-Poludnie der Wohnhausverwaltung, von der „Spolem“ das Lokal gemietet hatte, vor, direkt ihm statt dem Monopolisten den Laden zu vermieten. Für beide Seiten eine vorteilhafte Angelegenheit: Von den 1.200.000 Zloty, die „Spolem“ bisher von ihm kassierte, erreichten die Verwaltung gerade 72.000 im Monat. Die Wohnhausverwaltung ging also auf den Vorschlag ein und kündigte Spolem. Spolem kündigte dem Filialisten, nahm aber die gesamte Ausstattung gleich mit. Der örtliche „Spolem„ -Chef unterbreitete seinem ehemaligen Angestellten für die dürftige Ausstattung ein Angebot, daß dem künftigen Lebensmittelhändler Hören und Sehen verging: 210 Millionen Zloty (über 30.000 Mark), zahlbar in sechs Raten und mit 120 Prozent Zins. Um jedoch ganz sicher zu gehen, ließ „Spolem“ am Stichtag den Laden von Lastwagen und Arbeitern umstellen, worauf eine der Verkäuferinnen prompt eine Herzattacke erlitt.

In der Warschauer Szpitalna-Straße arbeitet ein Herr, dem es trotz allem gelungen ist, einen Laden zu mieten - von Spolem. Doch statt des üblichen Quadratmeterpreises, den etwa „Spolem“ in Praga-Poludnie entrichtet, zahlt der selbständige Metzger das Siebenfache. Und trotzdem kann er seine Waren um 10 bis 15% billiger verkaufen als Läden, die „Spolem“ selbst betreibt. Minister Mackiewicz: „Bei einer realistischen Miete könnte er sogar jenes Preisniveau erreichen, zu dem die Straßenhändler verkaufen.“ Womit auch das Hygieneproblem gelöst wäre: Würde Spolem mitspielen, könnten die Straßenhändler einfach in den „Spolem„ -Räumlichkeiten verkaufen. Die stehen die meiste Zeit nämlich ohnehin leer. Zumeist ist die Ware, die gegen zehn Uhr angeliefert wird, schon am frühen Nachmittag vollständig verkauft, die Verkäuferinnen verbringen dann gelangweilt die Zeit bis zum Feierabend um 19 Uhr in leeren Fleischerläden. Sie hätten sicher nichts dagegen, den Laden in dieser Zeit anreisenden Landwirten zum Verkauf zu überlassen - gegen entsprechende Beteiligung. „Spolem“, das sich seit Monaten gegen die Entflechtung des Genossenschaftswesen wehrt, hat allerdings sehr wohl Einwände: Die Konkurrenz vom Lande könnte schließlich noch weitergehende Preissenkungen notwendig machen - und dann könnte schnell das Geld ausgehen für die überbordende Verwaltungsbürokratie. Manch einen „Spolemisten“ hat Mackiewicz da schon auf seiner Seite. In einem Laden in Praga-Poludnie raten die Verkäuferinnen ihren Kunden bereits, nicht mehr bei ihnen zu kaufen: „Gehen Sie um die Ecke, da steht ein Lastwagen, der verkauft Fleisch, Wurst, Zucker und Mehl 20% billiger als wir.“