Plutoniumkontamination bleibt Berufsrisiko

Mindestens sechs Euratom-Kontrolleure in der Luxemburger Zentrale sind mit dem Ultragift verseucht / Haben Kontrollkameras das Gebäude kontaminiert? / Behördenchef Gmelin wiegelt ab / Ähnlich gelagerte Fälle beweisen, wie oftmals schlampig vorgegangen wird  ■  Von Thomas Krummenacker

Luxemburg (taz) - Anfang Januar rückten im Luxemburger Euro -Viertel Kirchberg die Anstreicher an. Ihr Ziel: Das Gebäude der europäischen Atomaufsichtsbehörde Euratom. Innerhalb weniger Stunden erstrahlten - scheinbar willkürlich ausgewählt - nicht gerade übermäßig angegraute Wände in neuem makellosen Weiß. Behördenintern hat die harmlose Tünchaktion einigen Staub aufgewirbelt. Mißtrauen kam auf. Denn was wie Alltag aussah, könnte sich als Versuch herausstellen, einen handfesten Skandal notdürftig zu überdecken.

Seit im Dezember bekannt wurde, daß vier Euratom -Mitarbeiter offenbar im Gebäude mit radioaktivem Plutonium verseucht wurden, reagieren Beamte der Euro-Behörde sensibel auch auf scheinbare Kleinigkeiten. „Normale Streichfarbe überdeckt kurzzeitig die Alphastrahlen des Plutonium und verhindert so einen Nachweis“, erklärt ein ranghoher Euratom -Beamter gegenüber der taz den „Trick“, der seit seiner Erprobung in der britischen Skandalaufarbeitungsanlage Sellafield angewandt wird.

Die Affäre um die Plutoniumkontamination in Luxemburg weitet sich dennoch aus. Nach Routineuntersuchungen im Januar stieg die Zahl der Verseuchungsfälle auf sechs. Das bestätigte Wilhelm Gmelin, Leiter der Behörde, die unter anderem europaweit über die Nichtweiterverbreitung von Kernbrennstoffen zu wachen hat, jetzt erstmals gegenüber der taz. Die ermittelten Kontaminationen lägen jedoch unterhalb der zulässigen Grenzwerte. Eine Argumentation, die fatal an das Anfangsstadium der Verseuchungsfälle in Hanau erinnert. Außerdem, meint Gmelin, seien die Euratom-Kontrolleure als „strahlenexponierte Personen“ eben einem „Berufsrisiko“ ausgesetzt.

Bleibt doch die obskure Tatsache, daß drei der Verseuchten mit der Kontrolle der strahlenden Stationen des Brennstoffkreislaufes vor Ort rein gar nichts zu tun haben. „Die waren in ihrem Leben nie in einer Atomanlage“, sagt ein sachkundiger taz-Informant. Er vermutet deshalb, daß mindestens Teile des Euratom-Gebäudes plutoniumverseucht sind. Seine Theorie: Das Ultragift sei von Euratom -Inspektoren aus irgendeiner Atomanlage über dort installierte Kontrollkameras eingeschleppt worden und strahle nun auch im Luxemburger Bürogebäude vor sich hin. Die Kameras sind in AKWs und Plutoniumlagern unter anderem installiert, um zu verhindern, daß Kernbrennstoffe unbemerkt abgezweigt werden. Im Dreimonatsrhythmus werden sie komplett abmontiert, nach Luxemburg geschafft und dort zur Filmentnahme und -entwicklung geöffnet. „Das alles geschieht in vollkommen ungeschützen Fotolabors, wie es sie in jeder zweiten Drogerie gibt“, beschreibt der Euratom-Mann den „absolut skandalösen Umgang im Hause mit allem, was mit Strahlenschutz zu tun hat“.

Behördenchef Gmelin schließt die Kamerakontamination kategorisch aus. Er bestreitet auch die Möglichkeit einer Plutoniumverseuchung des Gebäudes. „Das hätten wir sofort gemessen, das klebt förmlich an den Wänden“, versichert er. Alle Rückstände in den Luftfiltern des Hauses würden außerdem im Euratom-Institut „Joint Research Centre“ im norditalienischen Ispra noch einmal eingehend überprüft.

Wie glaubhaft die dortigen Untersuchungen sind, erhellte bereits im Dezember ein in der taz zitiertes internes Schreiben des Ispra-Chefs Oberhofer an den Kollegen Gmelin. Damals waren in Ispra Stuhlproben der ersten vier plutoniumkontaminierten Euratom-Beschäftigten untersucht worden. Auf die Schlüsselfrage: „Where should it all come from?“ fand Oberhofer damals wie heute keine Antwort. Was ihn nicht hinderte, den Abbruch der Untersuchungen zu empfehlen - „aus politischen und psychologischen Gründen“. Offenbar mit Erfolg, denn Reihenuntersuchungen wird es auch in Zukunft nicht geben.