Sicherer Arbeitsplatz: Arbeitsamt

Seit Montag gibt es in der DDR Arbeitslosengeld / Der große Ansturm blieb vorerst aus / Kaum Vermittlungschancen für Antragsteller / DDR-Arbeitsämter erhielten für ihr neues Tätigkeitsgebiet Formulare und Schnellkurse aus dem Westen  ■  Aus Ost-Berlin Vera Gaserow

„Aber nein, wir hoffen doch, daß wir viel zu tun kriegen!“ Mit dem gut gemeinten Wunsch, zukünftig nicht in Arbeit zu ersticken, kann sich Peter Knauth, stellvertretender Direktor des Amtes für Arbeit in Berlin-Friedrichshain, aus ganz persönlichen Gründen nicht so sehr anfreunden. „Wenn wir viel zu tun haben, dann werden wir wenigstens gebraucht.“ Und das kann in der DDR zur Zeit nicht jeder von sich sagen. Die Angst, daß der bisherige Arbeitsplatz schon bald nicht mehr existiert, reicht bis ins Arbeitsamt hinein. Dabei können sich gerade Angestellte dieser Behörde sicher sein, daß sie auf absehbare Zeit die sichersten Stellen der Republik haben werden.

Seit Anfang dieser Woche können sich Arbeitslose, die es vor der Wende in der DDR offiziell gar nicht gab, bei den Arbeitsämtern melden und einen Antrag auf Arbeitslosengeld stellen. Nach einer Verordnung, die Anfang Februar im Ministerrat beschlossen wurde, haben all diejenigen, die in den letzten drei Jahren mindestens 12 Monate sozialversicherungspflichtig beschäftigt waren, Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung. Maximal 70 Prozent des letzten Gehalts kann diese Unterstützung betragen. Davon zahlt der Staat bis zu 500 Mark. Den Rest muß der ehemalige Betrieb zuschießen.

Von ihren Westberliner Amtskollegen in einem Schnellkurs geschult, haben sich die rund 20 Mitarbeiterinnen des Friedrichshainer Arbeitsamtes auf die bisher völlig ungewohnte Aufgabe der Leistungszahlung vorbereitet. Bis hin zur Wortwahl von „Stammnummer“ und „Leistungsstelle“ standen die West-Kollegen auch bei der Gestaltung der Antragsbögen Pate. Und aus Versehen rutschte im ersten Durchlauf peinlicherweise auch ein „DM“ in die Formulare. Aber nur Dank der Amtshilfe aus dem Westen sei man jetzt wenigstens nicht allzu spontan „ins Chaos“ gerutscht, meint man im Friedrichshainer „Amt für Arbeit“.

Am Dienstag früh, dem zweitfrühesten Tag zur Beantragung des Arbeitslosengeldes, drängen sich hier etwa 30 Leute vor der Tür mit dem Schild „Leistungsstelle, Antragsannahme“. Zwischen 40 und 70 Antragsteller melden auch die Arbeitsämter der anderen Berliner Bezirke. Der große Ansturm, mit dem viele nach der Neuregelung gerechnet hatten, ist vorerst ausgeblieben. Aber das, so erklärt Vizedirektor Knauth, hat auch Gründe: das Arbeitsgesetzbuch der DDR verpflichtet die Betriebe, gekündigten MitarbeiterInnen ein Jahr lang ein Überbrückungsgeld zu zahlen, das höher liegt als das jetzige Arbeitslosengeld. Offiziell sind daher noch viele DDR-BürgerInnen in ihren alten Betrieben oder Verwaltungen beschäftigt. Tatsächlich sind sie jedoch längst beurlaubt zur anderweitigen Arbeitssuche. Zahlreiche Unternehmen seien jetzt dazu übergegangen, ihren Angestellten schon einmal prophylaktisch zu kündigen, weil abzusehen ist, daß ihre Stelle wegrationalisiert wird oder ihre Qualifikation nicht marktwirtschaftlichem Standard entspricht, weiß Vizearbeitsamtsleiter Knauth aus seinen Erfahrungen der letzten Wochen zu berichten. Vermitteln kann er die Arbeitssuchenden immer weniger. Anfang Januar verzeichnete man in Friedrichshain noch 1.900 offene Stelle. Heute, Ende Februar, ist die Zahl auf 800 Angebote radikal gesunken. In vielen Betrieben werden jetzt freiwerdende Stellen nur noch per interner Umverteilung besetzt. Vor allem MitbeiterInnen aus den aufgeblähten Verwaltungsbereichen, denen als erstes eine Rationalisierung droht, wechseln schnell noch in den Produktionssektor ihres Unternehmens, bevor sie auf der Straße stehen. Neue Stellen werden daher nach außen kaum noch ausgeschrieben, und viele Kombinate und Verwaltungen haben ohnehin einen Stellenstopp verkündet, weil sie erst die weitere Etnwicklung abwarten wollen.

In den Fluren des Arbeitsamts Friedrichshain hängen zwar zahllose Stellenangebote. Verkäuferinnen, Köche, Maschinenschlosser, Handwerker oder Fleischer hätten hier freie Auswahl unter meist recht dürftig dotierten Beschäftigungsverhältnissen. Aber Angehörige dieser Berufsgruppen sind es genau nicht, die jetzt mit ihrem Arbeitslosengeldantrag auf den Fluren stehen. Viele von ihnen arbeiteten früher in Institutionen aus dem Umfeld der alten SED, die längst ersatzlos aufgelöst sind. Arbeitslos wurden mit dem Zerfall der Partei aber längst nicht nur die Stasi-Bediensteten, sondern auch Angestellte im Kultur- oder Sozialbereich, wie etwa die junge Ökonomin aus der Zentralverwaltung für Statistik, die sich in den letzten Wochen schon vergeblich auf 17 Stellen beworben hat. „Viele“, so registriert Peter Knauth, haben gar keine Berufsausbildung, oder sie sind seit 20, 30 Jahren aus der Praxis raus. Was sollen wir denn mit denen machen?“

Ratlos und besorgt stehen die rund 20 ArbeitsamtmitarbeiterInnen auch vor einem anderen Problem: über Jahre hinweg bestand ihre Arbeit nicht in der Bewilligung von Geldern, sondern vor allem in der Beratung der „bisher Weggeschwiegenen“: derjenigen, die aufgrund ihrer Biographie, ihrer Persönlichkeit oder sozialen Lage schwer in ein Arbeitsverhältnis zu vermitteln sind. „Früher konnten wir Haftentlassene, Alkoholiker, sozial Benachteiligte oder Behinderte in die Betriebe hineinverpflichten. Jetzt akzeptieren die Betriebe diese Leute nicht mehr. Die fallen ebenso wie die Alten, die häufig nach vierzig Jahren Ackerei in ihrem Betrieb zumindest ein „Gnadenbrot“ bekamen, durch das soziale Netz, das bei uns noch viele Löcher hat.“

Auf dem Fluren des Arbeitsamts Friedrichshain lauert derweil der Fotograf von Springers 'Morgenpost‘ auf Porträts von „Ost-Arbeitslosen“. Zum Glück entgeht seiner Kamera, wie dort eine junge Frau leise vor sich hinweint, weil „es so demütigend ist, hier zu stehen“. „Wir haben es ja so gewollt“, gibt ein älterer Mann zurück „wer hat denn gerufen: 'Macht das Tor auf‘!“