Orkan griff sogar AKW Brunsbüttel an

■ Sturm über Nordwesteuropa tötete mindestes 35 Menschen / Schnellabschaltung in Brunsbüttel / Sturmflut in Hamburg

Berlin (dpa/ap/taz) - Dem seit Jahrzehnten wärmsten Februarwochenende folgten am Rosenmontag ein Sturm mit bis zu 160 Stundenkilometern und ein gewaltiger Temperatursturz. Der vierte Orkan binnen vier Wochen in Nordwesteuropa hat mindestens 35 Menschen getötet. Wie seine Vorgänger hinterließ das Unwetter wieder eine Schneise der Zerstörung in Wäldern, trieb Wassermassen in Straßen und Häuser und riß Stromleitungen nieder. Im AKW Brunsbüttel verursachte „Vivian“ eine vorübergehende Reaktorabschaltung.

Als „Vorkommnis“ der Kategorie „Eilt“ meldeten die Hamburgischen Elektrizitätswerke (HEW) der Kieler Aufsichtsbehörde den Vorfall. Der Sturm habe, so die HEW, zwei von 48 Dachklappen im Maschinenhaus geöffnet, die an das System der Drucküberwachung angeschlossen sind. Sie dienen der Erkennung eines Rohrbruchs und gehören zum Reaktorschutzsystem. Daher wurden der Reaktor abgeschaltet und die Frischdampfleitungen geschlossen. Dabei schloß sich eine von zwei Entwässerungsarmaturen nicht vollständig obwohl dieser Bereich erst vor sechs Wochen bei der Revision überprüft worden sei, so das Kieler Sozialministerium zur taz. Die Armatur wurde nach HEW-Angaben repariert und der Atommeiler danach wieder angefahren. Gleichzeitig kam es zu einem Kurzschluß in einem Umspannwerk am AKW. Ein folgenschwerer Vorfall: für einen kurzen Moment fiel in Hamburg der Strom aus.

Pfeilschnell jagten die ersten Böen über Großbritannien (12 Tote) hinweg. In Towyn (Nordwales) mußten 2.000 menschen evakuiert werden, nachdem riesige Wogen eine 200 Meter lange Bresche in den Deich geschlagen hatten und die Sturmflut sich in den Ort ergoß. Auf dem Weg durch Irland, Frankreich, Belgien, die Niederlande, die Bundesrepublik und die DDR fegte der Organ etliches weg, was nicht niet- und nagelfest verzurrt war. Abgedeckte Dächer, von umstürzenden Bäumen geplättete Autos, umgekippte LKWs und Wohnwagen - die Schadensbilanz in der Bundesrepublik geht in Hunderte Millionen Mark. Menschen starben vor allem durch entwurzelte Bäume.

Während in Nordrhein-Westfalen lediglich einige Rosenmontagszüge ausfielen oder später begannen, fuhr in Schleswig-Holstein ab Montag nachmittag nichts mehr. Was sonst kaum möglich ist, schaffte der Orkan nebenbei: ein geplanter Atomtransport aus dem AKW Brunsbüttel fiel aus. Total gesperrt die Autobahnbrücken, eingestellt der Fährverkehr - die Friesen und die Hamburger warteten auf die angekündigte Sturmflut. Sie blieb dann mit dreieinhalb Meter über dem mittleren Hochwasserpegel niedriger als befürchtet. Hamburg meldete zwar nasse Füße auf dem Fischmarkt und in der Elbchaussee, aber nicht „Land unter“. Nur in dem kurzzeitig evakuierten, nordfriesischen Dagebüll trat das Wasser über die Deichkrone. Westlich von Dagebüll liegt die Insel Sylt. Dieses Eiland hat der Sturm dem Untergang ein Stück nähergebracht: es wird mit neuen, großen Schäden an den Sandvorspülungen gerechnet.

e./Peb