Kein Leben wie Gott in Frankreich

Das französische Farebersviller sieht den erwarteten 200 DDR-ÜbersiedlerInnen aus dem Saarland mit gemischten Gefühlen entgegen / „Sportlich“ müssen sie sein, meint der Bürgermeister / Und Arbeit müssen sie haben  ■  Von J. Weidemann

Farebersviller (taz) - Die Häuser Nr. 6 und 8 der „Avenue Victor Hugo“ stehen noch leer, die Rolläden sind geschlossen. „Avenue“ klingt eigentlich nach Noblesse und Großstadtflair. Doch davon findet sich im lothringischen Städtchen Farebersviller keine Spur. Wenn die erwarteten 200 DDR-ÜbersiedlerInnen herkommen, werden sie sich wundern: Häuser in Plattenbauweise, wie Hasenkästen aneinandergereiht. Fast wie drüben. Selbst die Luft über Farebersviller ist abends geschwängert vom Rauch verbrannter Kohle.

Farebersviller lebt von den Kohleminen. Die Öl- und Bergbaugesellschaft HBL stampfte vor rund 35 Jahren für ihre Arbeiter vielerorts Trabantenstädte aus dem Boden. Auch am Nordrand von Farebersviller, dessen alter Ortsteil heute wie ausgestorben daliegt. Selbst wenn die Sonne scheint.

Das „neue“ Farebersviller leidet an Einwohnerschwund. Seit es mit dem Kohlebergbau bergab geht, kehren immer mehr Bergleute der Cite den Rücken. Mittlerweile stehen einige der Hauscontainer leer und stumm herum. Die Straßen dagegen leben und lärmen. Dort toben am Nachmittag die Kinder.

Paolo, einer von ihnen, spaziert den ganzen Nachmittag durch die Cite. Er gehörte einst zu den Männern der ersten Stunde - jetzt zum „alten Eisen“. Vor mehr als 30 Jahren, so erzählt der Rentner, habe er seine Heimat Sardinien verlassen, um in den lothringischen Kohleminen Arbeit zu finden. Er kennt die Cite wie seine Jackentasche. Wie werden sich Cite und DDR-ÜbersiedlerInnen vertragen? „Frankreich verschmelzt doch alle!“ meint Paolo. „Hier leben schon so viele Völker: Polen, Türken, Italiener. Warum nicht auch Ostdeutsche?“ Klingt frei von Vorurteilen. Doch gleich darauf hakt Paolo skeptisch nach: „Weiß man denn schon, wie lange die bleiben wollen?“

Man weiß es nicht. Man wisse ja nicht einmal, wann die ÜbersiedlerInnen kommen, gesteht hilflos die Sekretärin des Bürgermeisters, Laurent Kleinhentz (42). Kleinhentz kann auch nicht weiterhelfen. Zunächst meint er noch optimistisch: „Bisher haben wir hier 26 verschiedene Volksgruppen - nun kommt halt die 27. hinzu.“ Aber: Die DDR -BürgerInnen müssen sich integrieren. Und das macht Kleinhentz Sorgen. Denn die Ostdeutschen stehen im Ruf, Vorurteile gegen Polen, Türken und andere „Ausländer“ zu haben. Deswegen, so der Bürgermeister, habe der Unterpräfekt das saarländische Ministerium darum gebeten, nur ausgesiebte Übersiedler zu schicken. Die Kriterien: „Hauptsache, sie sind sportlich. Denn der Sport überwindet die Vorurteile“, meint Kleinhentz. Und mit der Arbeit, das sei ja auch schon geregelt: Die DDR-Bürger würden mit einer eigens eingerichteten Buslinie ins Saarland pendeln.

Fehlanzeige. Matthias Rehbein, Sprecher des zuständigen Saarbrücker Sozialministeriums, bezweifelt sogar, daß all die ÜbersiedlerInnen schon Arbeitsplätze haben. Rehbein: „Vielleicht finden einige von ihnen ja eine Stelle in Frankreich und wollen dort bleiben.“ Das jedoch „wäre sicher die Ausnahme“. Vorerst soll sich der Aufenthalt auf maximal sechs Monate erstrecken. Notfalls lasse sich die Frist aber um weitere sechs Monate verlängern.

Die ÜbersiedlerInnen können sich in dieser Zeit wohl kaum auf irgendwelchen Lorbeeren ausruhen. Je länger sie bleiben, desto mehr müssen sie für Miete und Nebenkosten zahlen. Für ihre Unterkunft sollen die DDR-BürgerInnen nämlich an das Saarland „Nutzungsentgelt“ entrichten, das zeitlich gestaffelt steigen soll und von der Sozialhilfe abgezogen wird. Das verbleibende Geld müssen die ÜbersiedlerInnen selbst nach Frankreich transferieren. „Denn wir“, meint Rehbein, „können nicht auch noch eigens für die Übersiedler Kontos in Frankreich einrichten. Das würde ich schon zur Kategorie Überversorgung zählen.“ Ebensowenig wird es Sprachkurse geben, obwohl die Menschen in den Straßen der Cite eher Arabisch, Türkisch und Französisch sprechen als Deutsch. Farebersviller ist und bleibt eben nur ein Provisorium. Oder, wie Rehbein und Kleinhentz betonen: „Die Sache ist ein Experiment.“ Das „Experiment“ geht jetzt in die Erprobungsphase: Die ersten ÜbersiedlerInnen werden für Donnerstag erwartet.