: Nicaragua: Wie konnte das passieren?
■ Die FSLN hat die Wahlen wegen Krieg und Wirtschaftskatastrophe, aber auch aus eigener Schuld verloren
Sie glichen einer Trauergemeinde, die zu ihrem eigenen Begräbnis gekommen war - Daniel Ortega und seine Begleitung, die am Montag früh den großen Saal des Kongreßzentrums Olof Palme in Managua betraten. Vor der versammelten internationalen Presse verlas der geschlagene Staatspräsident eine Erklärung: Er werde namens der FSLN die vom obersten Wahlrat bekanntgegebenen Wahlergebnisse akzeptieren. Vizepräsident Sergio Ramirez schien um Jahre gealtert, und der Parteichef Bayardo Arce brachte beim abschließenden Absingen der sandinistischen Hymne keinen Ton heraus.
Nur Daniel Ortega selbst wirkte gefaßt, als er sagte, daß dieser 26.Februar 1990 ebenso wie der 19.Juli 1979, der Tag des Sieges über die Somoza-Diktatur, für die Nicaraguaner einen neuen Weg eröffne: „Der Krieg ist beendet, und unbeschadet des Ergebnisses haben wir den Kampf um den reibungslosen Ablauf dieser Wahlen gewonnen.“
Bei 82 Prozent ausgezählten Stimmen stand es gestern 55,2 zu 40,8 Prozent. Die sandinistischen Medien quittierten den Sieg der Uno zunächst mit Sprachlosigkeit. Die Parteizeitung 'Barricada‘ sprach von einem „knappen Sieg“ der Opposition, und das sandinistische Fernsehen strahlte am Tag nach der Wahl überhaupt keine Nachrichten aus. Diese Sprachlosigkeit ist eines der vielen Zeichen für das besonders unter der Jugend weitverbreitete Gefühl, einfach überrumpelt worden zu sein.
Noch zwei Tage vor den Wahlen hatte Vizepräsident Sergio Ramirez die Frage der taz nach der Möglichkeit einer Zusammenarbeit mit den kleineren Linksparteien außerhalb der Uno entrüstet von sich gewiesen: „Diesmal werden wir wegen des veränderten Wahlgesetzes noch mehr Sitze in der Nationalversammlung bekommen als beim letzten Mal. Und daß eine Partei, die die absolute Mehrheit errungen hat, eine Koalition eingeht, gibt es nicht einmal in Europa“, meinte Ramirez.
Die Selbstsicherheit der Sandinisten - wie übrigens auch die Einschätzung von uns Journalisten, die wir mit ihrem Wahlsieg rechneten - war vor allem auf die offenbar so massiv besuchten Wahlversammlungen der FSLN zurückzuführen. Rückblickend muß vermutet werden, daß ein großer Teil der Besucher von FSLN-Veranstaltungen zwar von dem dargebotenen Spektakel des von der Wahlpropaganda als „Kampfhahn“ gepriesenen Daniel Ortega äußerst beeindruckt waren, sich aber dann in der Einsamkeit ihrer Wahlkabine um 180 Grad umgedreht hatten.
Das auch durch die Anwesenheit Tausender von Wahlbeobachtern vermittelte Gefühl, den Lauf der Geschichte wirklich mitbeeinflussen zu können, machte so manche und manchen zu Protestwählern, die den Sandinisten eine Lektion erteilen wollten - und sich wohl nicht alle der Tragweite einer Abwahl der Sandinisten bewußt waren. Dafür spricht auch die lähmende Atmosphäre und die fast völlige Abwesenheit von Siegesfeiern nach der Wahl, über deren deutlichen Ausgang heute sogar viele derjenigen, die die Uno gewählt haben, höchst erstaunt waren. Natürlich waren die Vorzeichen, unter denen dieser Wahlkampf für die Sandinisten begonnen hatte, nach acht Jahren Krieg und wirtschaftlicher Not die denkbar ungünstigsten.
Daß diese Handicaps letztendlich voll zum Tragen kamen trotz des fieberhaften Einsatzes der sandinistischen Aktivisten, die die der Uno an Zahl und Organisationsgrad bei weitem übertrafen - kann mit der Doppelzüngigkeit vieler scheinbarer FSLN-Anhänger allein nicht erklärt werden. Es mußte schon eine „schweigende Mehrheit“ hinzukommen, die sich in Nicaragua wie anderswo nur mit ihrer Stimmabgabe politisch betätigt.
Es bleibt die Frage, was die Sandinisten hätten unternehmen müssen, um ein solch katastrophales Wahlergebnis zu verhindern. Nach der Freilassung der zu Haftstrafen verurteilten Contras und ehemaligen Somozasoldaten am 8. Januar gab es nur noch ein Zugeständnis, das Wählerstimmen hätte bringen können: die Aufhebung der Wehrpflicht, die vielleicht politisch wichtigste Forderung der Uno, die ihr viele Sympathien auch unter den Soldaten und Milizangehörigen eingetragen hat. Demgegenüber war offenbar das Versprechen der Sandinisten, den Militärdienst zu verkürzen, nicht genügend zugkräftig.
Weitverbreitet ist auch die Kritik, Daniel Ortega habe es schon seit Jahren versäumt, Allianzen mit den anderen linken und linksliberalen Parteien zu suchen - was statt dessen der rechtslastigen Uno teilweise gelang. Angesichts des erschreckend schlechten Abschneidens dieser kleineren Parteien (die MAP, PRT, PUCA, PSC und MUR konnten zusammen nicht einmal 4 Prozent auf sich vereinigen) verliert dieses Argument zwar etwas an Bedeutung; nicht aber in bezug auf die oft sehr geistreich gerittenen Attacken dieser Miniparteien, die sich die FSLN hätte ersparen können.
Sie setzte alles auf ihr eigenes Ticket. Daß sie dabei verlor, verdankt sie nicht zuletzt ihrem allzu selbstsicheren Auftreten, mit dem sie viele Zweifelnde abschreckte und sich selbst den Blick auf die in Krisenzeiten immer unstabile politische Basis verstellte.
Leo Gabriel, Managua
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