Kranke Bilder der Finsternis

■ „Schwarzer Regen“, ein Film über das stille Krepieren der Hiroshima-Spätopfer

Reglos blickt die Kamera auf Landschaft und Gesichter. Sie protokolliert. Was macht die Bilder krank? Immer ist es, selbst im hellsten Licht, als dunkelte es gleich, als sei eine tiefe Finsternis bloß vorübergehend ausgeleuchtet.

Ein Anfang

„Von der Stadt zogen tiefschwarze Wolken herüber, begleitet von einem dumpfen Donnergrollen. Kurze Zeit darauf begann es dann zu regnen, die dicken Tropfen waren so schwarz wie Tinte. Und obwohl es Hochsommer war, wurde es ganz plötzlich eiskalt.“ So steht es in Yasukos Tagebuch. Die junge Frau war, als die Bombe fiel, in Hiroshima, zusammen mit ihren Pflegeeltern. Noch Jahre später, wenn schon die Strahlenkrankheit ihre Leiber zerfrißt, werden sie nichts wissen wollen als das Nötigste, darunter: wie man, trotz

alledem, Yasuko verheiraten kann.

Eine Bearbeitung

Schwarzer Regen heißt der Roman von Masuji Ibuse; unter gleichem Namen hat ihn Shohei Imamura in Schwarz-Weiß verfilmt.

Wir sehen den weißen Blitz - und dann das Negativ. Die Bombe hat die Welt fotografiert: Schwarz krümmen sich die Toten, mitten in der Bewegung verkohlt, Mutter hält Kind, eine Pieta.

Schatten von Radfahrern am Brückengeländer; Wolken, Schwaden huschen, Licht und Dunkel taumeln ineinander, die Orientierung bricht zusammen, ein Schrei: Wo ist Hiroshima? Ein Zeitsprung

Alles ist jetzt belichtet, aber nicht alles gleichmäßig: Ein graues Meer sehen wir auch, aus toten und noch lebenden Trümmern; und hindurch wanken Aufrechte, hinterblieben wie aus Versehen. Ihnen begegnen wir fünf Jahre später. Leute sind es unsresgleichen, mit Leute-Lieb und Leute-Leid; Aloe essen sie gegen die Strahlenkrankheit, und sie fürchten sich sehr, daß man sie als Opfer erkennt.

Auch ihnen kriecht die Negation, die Umkehrung ins Hirn, sie sind erfaßt, entlaufen aus dem Stand-Foto; indem sie aber tapfer ihr Leute-Leben davontragen und bewahren gegen den Schock, ist

ihr Sterben ein elendes.

Eine Feier

Mild fällt das Licht in ihre Häuser. Schwarze Gitterrahmen, mit hellem Stoff bespannt, dämpfen und regulieren es; als Schein legt es sich auf Gesichter, die die Spuren des Blitzes noch tragen. Bilder der Behausten: der Film begeht feierlich ihr lichtmalerisches Requiem. Freilich ohne das zu begreifen. Schwarzer Regen ist ein Familienfilm, durch den die traurige Ahnung weht, daß er zu spät kommt.

Eine Entwicklung

Der Blitz hat die Ordnung des Sehens vernichtet, damit steht nun die sichtbare Ordnung zur Debatte. Manchmal scheinen die Bilder zu hell, wie geblendet, wie befallen von einem immateriellen Krebs. In ihnen droht das Unsichtbare, die Strahlung. Wir blicken auf sie wie auf einen Film, der noch nicht zu Ende entwickelt ist. Was kommt noch?

Ein Ende

Im Film ein Ende. Im Baderaum, im warmen Dämmer des Privat -Lichts, kämmt sich Yasuko. Sie blickt auf ihren Kamm. Die Kamera notiert: Ein weißer Fleck Kopfhaut leuchtet auf im schwarzen Haar. Die Bilder sind alle krank. Yasuko bricht zusammen.

Der Lastwagen, der sie ins Krankenhaus bringt, verschwin

det in schlierigem Dunst. Der Pflegevater steht und wünscht, jetzt möge, zum Zeichen, daß es so schlimm nicht sei, ein Regenbogen erscheinen. Der Regenbogen, der mythische, der Licht-Heiler.

Manfred Dworschak