: Die hohe Kunst des Fernsehens
■ Adolf-Grimme-Preis für die besten Fernsehsendungen des letzten Jahres / Späte Lorbeeren für Preisgekröntes
Wer das besondere sucht, muß gute Augen haben. Zum 26. Mal nun hat sich das Medieninstitut des Deutschen Volkshochschulverbandes auf die Suche Fernsehsendungen gemacht, die „die spezifischen Möglichkeiten des Mediums auf hervorragende Weise nutzen und nach Form und Inhalt Vorbild für die Fernsehpraxis sein können“. Die JurorInnen des Adolf -Grimme-Preises haben nach langwierigen Sichtungsterminen aus den Untiefen des deutschen Fernsehmeeres die wenigen Kostbarkeiten herausgefischt.
In der Sparte Fernsehspiel dekorierte man zwei Beiträge mit dem Grimme-Preis in Gold: Rolf Schübels eindringliches Porträt eines Krebskranken, Der Indianer, und Michael Kliers Werk Überall ist es besser, wo wir nicht sind. Der wunderschöne Titel dieses Fernsehspiels über Sehnsüchte und reale Fluchten von Ost nach West veranlaßte die Jurymitglieder zudem zu mancher Assoziation auf die Auswahlsituation: „Überall ist es besser, wo Fernsehen nicht ist“, war angesichts des allzuoft mittelmäßigen Angebots zu hören. Adolf Winkelmanns zweiteiliger Politkrimi Der Leibwächter mit Franz Xaver Kroetz in der Hauptrolle war da schon eine spannende Ausnahme, was mit einem Preis in Silber honoriert wurde.
In der Sparte Information wurden gleich zwei Beiträge aus der ARD-Reihe Unter deutschen Dächern ausgezeichnet: Christian Berg und Cordt Schnibbens brilliantes Filmessay über den politischen Machtwechsel in Schleswig-Holstein Die Erben des Dr. Barschel und Axel Engstfelds Reportage über die Zerstörung der Alpenlandschaft (Der geschundene Berg). Einen Adolf-Grimme-Preis in Bronze erhielt das Autorenpaar Claus Strigel/Bertram Verhaag mit ihrem Beitrag Tatort Familie über sexuellen Mißbrauch von Kindern, der in der ZDF-Jugendreihe Doppelpunkt ausgestrahlt wurde.
Ausgezeichnet wurden auch zwei sehr unterschiedliche Schauspielerporträts. Marion Schmidts Der Profi: Kurt Gerrons Weg von der Traumfabrik bis Theresienstadt ist eine sorgfältig recherchierte Dokumentation über das Leben des deutschen Multitalents Kurt Gerron, der als Jude von den Nazis zunächst für Propagandazwecke mißbraucht und schließlich im Konzentrationslager ermordet wurde. Dagegen trägt Sehnsucht nach Sodom, ein Porträt des schwerkranken Faßbinder-Schauspielers Kurt Raab, der im letzten Jahr an Aids gestorben ist, die ganz persönliche Handschrift des Porträtierten. An der Idee und Umsetzung war Raab neben Hanno Baethe und Hans Hirschmüller selbst beteiligt.
Für kontroverse Diskussionen sorgte WDR-Kulturmagazin Freistil. Thomas Schmitts filmische Assoziationen zum Thema Krieg und Fliegen in moderner Videoclip-Ästhetik waren vielen Jurymitgliedern zu zeitgeschmäcklerisch und zu wenig analytisch. Trotzdem wurde Schmitts Suche nach neuen Fernsehformen mit einem Preis in Bronze bedacht.
Die ausgezeichneten „Spitzenproduktionen“ können jedoch kaum über den trüben deutschen Fernsehalltag hinwegtäuschen. In der Unterhaltungssparte wurde das Dilemma direkt sichtbar. Diese Sektion, mit der die Grimme-JurorInnen schon früher Probleme hatte (die Deutschen und der Humor, das wäre ein Kapitel für sich!), war in diesem Jahr so dünn bestückt, daß keine der nominierten Sendungen eine Würdigung erhielt. In Ermangelung anderer unterhaltsamer Beiträge kürte die Jury einen Tierfilm. Ernst Arends und Hans Schweigers Beobachtungen der (Beutel-)Tierwelt Tasmaniens Die Nächte der Tasmanischen Teufel (BR) erheiterte die Kritikerrunde so, daß man ihm einen Grimme-Preis in Bronze bescherte. Tatsächlich handelt es sich hier um ein recht kurzweiliges Stück, doch mit Fernsehunterhaltung im klassischen Sinne hat der Beitrag wenig gemein. Die unzähligen Fernsehshows, Musiksendungen und Nonsensklamotten, die diese Kategorie eigentlich kennzeichnen, standen in Marl nicht zur Debatte.
Der Adolf-Grimme Preis hat trotz seines unbestrittenen Renommees kleine Schönheitsfehler. Die Einteilung in traditionelle Sparten wie Fernsehspiel, Unterhaltung, Information oder Kultur/Wissenschaft/Bildung wird zunehmend schwieriger. Winkelmanns Leibwächter ist (auch) gute Unterhaltung, Marions Schmidts Gerron-Porträt gehört zur Information ebenso wie zur Kultur. Magazine wie Freistil, Spiegel-TV oder ZAK greifen alte Fernsehnormen frontal an. Auffällig ist auch, daß viele Sendungen schon jede Menge Lorbeeren mit ins Rennen bringen. Der Indianer beispielsweise, hat schon diverse Filmpreise gewonnen und kam, obwohl als Fernsehspiel produziert, erst nach erfolgreicher Kinoauswertung ins TV -Programm, und so auch erst so spät zu Grimme-Ehren. Gleiches gilt auch für Michael Kliers Film. Gegen Mehrfachauszeichnungen ist grundsätzlich zwar nichts einzuwenden, doch wenn das Adolf-Grimme-Institut immer nur nachklappert, kommt es schnell in den Ruf, nur allseits Anerkanntes zu prämieren. Doch solange es nichts neues ist, müssen eben die wenigen guten Produkte doppelt gelobt werden.
Die offizielle Preisverleihung findet am 16. März in Marl statt, und natürlich wird das Fernsehen dabei sein, um sich selbst zu feiern: live ab 19 Uhr in Eins Plus und als Zusammenfassung in der ARD eine halbe Stunde vor den Tagesthemen.
Ute Thon
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