Opposition oder Tod

Verena Krieger und Dieter Hummel über die Perspektiven der Grünen im Wahljahr  ■ D O K U M E N T A T I O N

„Außer der rot-grünen Koalition haben die Grünen kaum noch eine mobilisierende Perspektive“, schrieb ein taz -Kommentator direkt nach dem niederschmetternden Wahlergebnis der saarländischen Grünen. Wenn dem so ist, dann haben die Grünen überhaupt keine mobilisierende Perspektive mehr. Denn gerade die Wahl an der Saar hat ja gezeigt, daß die Orientierung auf eine rot-grüne Regierung derzeit ganz und gar nicht mobilisierend wirkt - jedenfalls nicht dafür, den Stimmzettel für die Grünen abzugeben.

Auf Bundesebene sieht das nicht viel anders aus als im Saarland. Obwohl dort eine absolute Mehrheit der SPD nicht die mindeste Chance hat, gibt es am linken Rand der sozialdemokratischen WählerInnenschaft keinerlei positive Stimmung für eine politische rot-grüne Mehrheit für ökologische und soziale Reformen in der Bundesrepublik. Das hat einen einfachen Grund: Die WählerInnen haben die völlig realistische Einschätzung, daß es Rot-Grün auf Bundesebene auf absehbare Zeit nicht geben wird, weil erstens eine entsprechende rechnerische Mehrheit nicht zustande kommt und weil zweitens die SPD ein rot-grünes Bündnis politisch nicht will. Die große Koalition auf Bundesebene ist in Vorbereitung; politisch ist sie bereits Realität. Anders ließe sich der Anschluß der DDR an die BRD auch nicht organisieren. Die SPD hat diesen Einstieg in eine deutschlandpolitische große Koalition spätestens auf ihrem Berliner Parteitag vollzogen und sich zugleich an die Spitze des nationalistischen Trends gestellt. Oppositionspartei

Nachdem die Grünen sich nach einem zehnjährigen Dauerstreit über die rot-grüne und die Regierungsoption (was nicht dasselbe ist) mittlerweile eindeutig für beides (vor allem für letzteres) entschieden haben, fällt es vor allem denjenigen, die auf dieses Ziel lange hingearbeitet haben, verständlicherweise schwer, die unangenehme Wahrheit zur Kenntnis zu nehmen, daß die rot-grüne Perspektive zur Zeit gesellschaftlich irrelevant ist. Die politische Lage in der Bundesrepublik hat sich nicht erst, aber vor allem seit den Umwälzungen in der DDR derart massiv verändert, daß die Frage nach der gesellschaftlichen Aufgabe der Grünen neu reflektiert werden muß.

Es gibt für die Grünen in der gegenwärtigen Situation keine andere Rolle als die der einzigen relevanten Oppositionspartei im Parlament, und diese Option ist keine Notlösung, sondern eine Chance.

Mit der deutschlandpolitischen „Wende“ von Bundestagsfraktion und Bundeshauptausschuß - die ja keinerlei weiterführende Perspektive enthält, außer der, Trittbrettfahrer des großdeutschen Zuges sein zu wollen wurde sie womöglich endgültig verspielt.

Als Anhängsel der großen Koalition sind die Grünen überflüssig, nur als Kristallisationspunkt der Opposition haben sie eine eigenständige gesellschaftliche Funktion. Das Einschwenken der Realos auf die deutsche Einheit schadet deshalb den Grünen, anstatt ihnen zu nützen. Vertreibung der Linken

Der rasche Positionswechsel der Realos in der Deutschlandpolitik, der argumentativ auf äußerst schwachen Füßen steht, basiert hauptsächlich auf der Befürchtung, die Grünen würden sich sonst „freiwillig in die Opposition begegeben“ (Fischer). Diese Auffassung ist in mehrfacher Hinsicht absurd: Sie suggeriert, daß die Grünen sich derzeit nicht in der Opposition befänden (wo bitteschön dann?), daß bei einer Akzeptanz des Anschlusses der DDR an die BRD Einfluß auf die Form des Anschlusses ausgeübt werden könnte (eine Illusion) und daß es a priori nicht akzeptabel sei, zur gesellschaftlichen Minderheit zu gehören.

Genau diese Haltung - um jeden Preis zur Mehrheit gehören zu wollen - ist der zentrale Ausgangspunkt sowohl der „Aufbruch„-Gruppe als auch der Realos. Wer sich dieser Prämisse nicht fügt, soll in der grünen Partei keinen Platz mehr finden. Die Vertreibung der Linken wird deshalb zur Zeit mit allen Mitteln und von oben nach unten organisiert.

Beim Bundestagswahlprogramm sollen Eckpfeiler grüner Politik gekippt werden. Zu fast allen Programmteilen liegen Globalalternativen der Realos vor, die das alte CDU-Modell der „Wahlfreiheit“ für Frauen, den Frieden mit der Nato, das Bekenntnis zum staatlichen Gewaltmonopol festschreiben sollen. Dies alles und wohl wissend, daß mit solchen Beschlüssen die Grundlage entfällt, auf der Feministinnen und Linke in den Grünen noch Politik machen können. Bewußt wird auf die Revision gerade dieser, für uns zentralen Punkte gezielt, um uns loszuwerden.

Mit dem Beschluß, sich für eine Konföderation einzusetzen, die nur als Übergangsstadium hin zum großdeutschen Nationalstaat denkbar ist, wurde bereits ein großer Schritt zur Verabschiedung von bislang konsensfähigen Positionen getan. Immer mehr Grüne grenzen sich immer offener von antinationalistischen Positionen ab und entdecken deutsche Gemeinsamkeitsgefühle. Deshalb geht es beim Streit um die Deutschlandpolitik der Grünen um viel mehr als um den adäquaten Umgang mit einer veränderten Situation. Es geht darum, ob die Grünen verschämt auf der nationalen Welle mitschwimmen, ob sie das westliche Kapital als Heilsbringer für den Osten betrachten, ob sie die Marginalisierung derer, die „immer noch“ dagegen sind, mit betreiben. Vor allem geht es um die Frage, ob die Grünen den Anschluß nun mitorganisieren werden. Denn nichts anderes verbirgt sich hinter dem Anspruch „gestaltend“ wirken zu wollen. Pyrrhussieg

Spätestens seit dem Karlsruher Parteitag und der Abwahl des alten Bundesvorstandes sind Aufbruch und Realos in der grünen Partei hegemonial. Nun reicht es Ihnen nicht mehr, die Linken zur Minderheit gemacht zu haben, sondern sie wollen sie ganz herausdrängen. In der alltäglichen politischen Praxis setzt sich ihr Politikmodell immer mehr durch: Die Partei wird - formal wie inhaltlich - zum Anhängsel der Fraktionen degradiert. Dieser realen Entwicklung hinken die entsprechenden formellen Beschlüsse zur Strukturreform und Programmrevision lediglich ein wenig hinterher. Insofern entscheidet sich auf dem Programmparteitag nicht die Frage, ob wir minoritär sind, sondern ob wir uns in den Grünen noch einen Raum für linke Politik erkämpfen können.

Über eines sind wir uns sicher: Ein „Sieg“ von Aufbruch und Realos wird ein Pyrrhussieg sein. Denn in demselben Maße, wie sie in den Grünen ihr Politikmodell durchsetzen, verlieren die Grünen. Deutschlandpolitik

Der Anschluß der DDR an die BRD ist nicht mehr zu verhindern. Das ändert nichts daran, daß die Argumente gegen Wiedervereinigung und für die Aufrechterhaltung der Zweistaatlichkeit nach wie vor richtig sind. Deshalb müssen sie auch nach wie vor genannt werden!

Die Zeiten werden härter. Wir werden erhebliche Rückschläge hinter das an verändertem Bewußtsein und gesellschaftlicher Realität Erreichte erleben: Mit der Stillegung des maroden AKWs Greifswald geht die Akzeptanzsteigerung für „unsere“ sicheren und effizienten Atomkraftwerke einher. Eine breite Allianz bis hin zur Senatorin Schreyer bemüht sich, den Widerstand der DDR-Bevölkerung gegen die Deponierung von BRD -Sondermüll zu brechen. In der DDR ist mit hoher Erwerbslosigkeit und der Verarmung breiter Bevölkerungsschichten zu rechnen; in der Bundesrepublik wird der Sozialabbau neuerdings mit nationalistischen Argumenten durchgezogen. Die Oder-Neiße-Grenze wird ganz neu bedroht, dadurch, daß unzählige Menschen aus Polen versuchen werden, ein Stückchen vom großdeutschen Wohlstandskuchen zu ergattern. Für Frauen in der DDR steht der Verlust der wenigen Errungenschaften, wie öffentliche Kinderbetreuung und freier Schwangerschaftsabbruch, vor der Tür. Und wer nicht „deutsch“ ist, wird noch weniger zu lachen haben, wenn DDR-Fremdenfeindlichkeit sich mit der hiesigen paart.

Wir werden in allen diesen Bereichen parlamentarisch und vor allem außerparlamentarisch Widerstand organisieren müssen. Und wir werden dabei bereichert werden durch die Erfahrungen und Kompetenzen von MitstreiterInnen aus der DDR (der einzige Trost). Dieser politische Bezug auf die linke und grüne Opposition in der DDR muß so schnell wie möglich einen ganz anderen Charakter bekommen als die derzeitige (zweifellos notwendige) Ausstattung mit Apparaten. Es geht darum, eine gemeinsame Praxis gegen die bereits vorhandenen und die durch den Anschluß auf uns zukommenden neuen Probleme zu entwickeln, bei der die BRD-Grünen und Linken ihren Paternalismus gegenüber den östlichen Brüdern und Schwestern endlich überwinden. (gekürzt)

Verena Krieger ist Bundesvorstandssprecherin der Grünen, Dieter Hummel ist Landesvorstandssprecher der Grünen Baden -Württemberg.