Zwei-Drittel-Konsens

Die Grünen sollen ihre deutschlandpolitische Opposition aufgeben  ■ G A S T K O M M E N T A R

Das Volk hat entschieden. Die reale politische Frage der nächsten Monate ist, wie die neue deutsche Republik gebildet wird: Wird das Modell BRD auf das Gebiet der DDR ausgedehnt, oder wird eine verfassunggebende Versammlung des deutschen Volkes einberufen, um die neue deutsche Republik zu gründen?

Die 'FAZ‘ und die „Allianz für Deutschland“ treten für den Anschluß der Länder nach Artikel 23 des Grundgesetzes an. Sie können sich dabei nicht nur auf Interessen der Wirtschaft und der Bonner politischen Eliten stützen, sondern auch auf den Wunsch vieler DDR-Bürger, die soziale Absicherung über den Anschluß zu erreichen. Originäre Aufgabe der Grünen ist es dagegen, dafür zu sorgen, daß das neue Deutschland aus der „Volksversammlung“ hervorgeht. Dieser Weg erzwingt eine gesamtdeutsche Debatte über Verfassung, Staatsaufbau, die Einbindung dieses Staates in die europäische Einheit. Er bietet die Chance, Ballast des Kalten Krieges abzuwerfen, die äußere und innere Abrüstung voranzutreiben, die Ökologie in der Verfassung zu verankern, Bürgerrechte zu erweitern, das Ausländerwahlrecht und das Recht auf Doppelstaatsbürgerschaften in die Verfassung zu bringen, den Staat zu entbeamten. Die Menschen in der DDR können so wesentlich besser ihre Anliegen einbringen und sich vor denen schützen, die die alten Besitzverhältnisse an Boden, Wohnraum und Industrie zu Lasten der Bevölkerung wiederherstellen wollen. Gerade für das Gebiet der DDR wird es lebenswichtig sein, daß die Stellung der Länder in der förderalistischen Republik gestärkt wird.

Die Bundestagswahl ist die Vorstufe zur ersten gesamtdeutschen Wahl. Die Politik der Grünen als der „letzten deutschlandpolitischen Opposition“ ist politischer Selbstmord. Rot-Grün ist als Bündnisaussage zu eng. Die bisher rein arithmetische Diskussion über eine Ampelkoalition (SPD, FDP, Grüne) ist jetzt aktuell. Außen und europapolitisch kann ein Konsens mit der FDP hergestellt werden. Mehr noch: Für die Durchsetzung einer demokratischen, ökologischen und sozialen Verfassung ist selbst ein Zusammengehen mit den Sozialkonservativen in der BRD und DDR unumgänglich. Die Errichtung der Fundamente der neuen Republik erfordern Zweidrittelmehrheiten.

Peter Hochstädter, Frankfurt/Main

Der Autor ist Bildungspolitiker bei den Grünen in Frankfurt, vorher am Abendgymnasium, und Funktionär der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft