Michail Bonaparte

■ Das Präsidialsystem in der Sowjetunion erhitzt die Gemüter, muß aber kommen

Während sich im Westen in den letzten Monaten die Stimmen häuften, die dem sowjetischen Staats- und Parteichef ein baldiges Ende prophezeiten - und dies nicht selten in der ambivalenten Verquickung aus ehrlicher Befürchtung und Schadenfreude - sitzt Michail Gorbatschow fester im Sattel denn je. Die Einrichtung eines Präsidialamtes, dem der Oberste Sowjet nun grundsätzlich zugestimmt hat, wäre zunächst der Höhepunkt einer Entwicklung, die von Anfang an die Vorstellungen des Reformers bestimmt hat: die allmähliche Verlagerung der Macht der Partei auf den Staat. Gorbatschows Vorgehen erscheint dabei von Widersprüchlichkeiten gekennzeichnet. Wehrte er sich im Dezember noch gegen die Streichung des Artikel 6, präsentierte er Anfang Februar seinem ZK einen Entwurf, der die Selbstentmachtung der Partei einleitete. Dies weist ihn aus als einen Pragmatiker, nicht als Ideologen. Die Widerstände, die sich jetzt noch gegen die Einrichtung eines Präsidialsystems regen, werden ähnlich wie bei der Entscheidung um die Führungsrolle der Partei demnächst weichen.

Die Diskussion um das Präsidialamt wird schon lange im Rahmen eines neuen Verfassungsentwurfes geführt. Anlaß dazu boten die schleppende Umsetzung der Reformen und die Handlungsunfähigkeit der Regierung im Kaukasuskonflikt. Unmut stiftete zudem das gesetzgeberische Nebeneinander von Oberstem Sowjet und Kongreß der Volksdeputierten, deren Kompetenzen nicht eindeutig voneinander abgegrenzt sind. Wen wundert es, wenn in einem Land, das täglich mit neuen Konflikten konfrontiert wird, der Ruf nach einem starken Mann wächst? Sowohl Konservative wie Radikale stimmen darin überein. Den Konservativen geht es dabei vor allem um eine effektive Staatsführung, die das Chaos beseitigt. Dies wiederum können die Radikalen begrüßen, da durch ein solches Amt die Macht der Partei weiter beschnitten wird. Die Demokratisierung jedoch durch eine Einmannherrschaft abzusichern, wird bei ihnen nicht nur theoretische Bedenken provozieren. Sie fürchten das drohende Gespenst eines „Michail Bonaparte“. Doch werden sich am Ende ihre Widerstände darauf konzentrieren, die parlamentarische Kontrolle über den Präsidenten möglichst eng zu gestalten.

Kurzum: Die Macht des Präsidenten darf nicht zu Lasten der Legislative gehen. Dann werden die Radikalen die Institution des Präsidenten mittragen, denn ihre Hoffnung liegt im Mehrparteiensystem. Und dazu hat der „gute Monarch“ Gorbatschow mit dem Verzicht auf die Führungsrolle der Partei die Fundamente gelegt. So paradox es klingt: Der Weg dorthin kann nur über einen zentralistisch abgesicherten Präsidenten führen.

Klaus Helge Donath