Kinderwagenrallye zum Ku'damm

■ Mindestens 7.000 Menschen demonstrierten gestern in der Innenstadt für einen KiTa-Tarifvertrag / Bürgermeister Walter Momper gerät mehr und mehr ins Kreuzfeuer der Kritik / 97.000 rot-grüne Wählerstimmen in Gefahr? / Soli-Streiks in sieben Ganztagsschulen

Zur gewaltigsten Kinderwagenrallye aller Zeiten kam es gestern in der frühabendlichen Rush-hour. Der von ÖTV und GEW organisierte Sternmarsch der ErzieherInnen, Eltern und Kiddies blockierte aus fünf Himmelsrichtungen (Wedding, Spandau, Zehlendorf, Neukölln, Kreuzberg) die Verkehrsadern der Innenstadt. Endpunkt war der Breitscheidplatz. 7.000 DemonstrantInnen (überwiegend Klein-I) schätzten die Polizei und 'dpa‘, die ungeeichte Fachkraft der taz kam, wie immer, auf das Doppelte: 14.000.

Selbst die glotzende BürgerIn, die selbiges immer sein lassen und sich einreihen soll, ließ sich wegen der vielen buntvermummten Bälger zu einem Lächeln hinreißen. Mutter & Kind an der frischen Luft, ja so soll es sein, mag da manche Ku'Damm-Flaneuse aus Baden-Württemberg gedacht haben. Eine Art postkarnevalistischer Samba von Tuten, Trommeln und Tröten sollte die Genervtheit von fast sieben Wochen KiTa -Streik abbauen. Die Rasselei sowie Fähnchen mit Rot- und Christkreuzen taten ein übriges, um Passanten und Polizisten von der Friedfertigkeit des Auflaufs zu überzeugen. Die Beamten wärmten sich in großen Gruppen beim Burger King gegenüber der Gedächtniskirche, einträchtig neben ErzieherInnen und ihren kleinen KlientInnen in roten „Wir streiken„-Ponchos aus Plastik.

Hauptthema in Sprechchören, Singespielen und auf Transparenten: König Momper von der SPD, der ja bekanntlich der größte Bremsklotz gegen einen Tarifvertrag ist. Ein Transparent zeigte ihn als Dauerläufer mit Olympiafackel, der durch Kindergruppen spurtet. Sprechblase: „Was liegt denn hier im Weg?“. Woanders war zu lesen: „Deutsche Einheit? Olympia? Ein Kinderspiel, ein Trauerspiel“. Eine Gruppe von Erziehungsberechtigten rechnete dem Regierenden vor: 92.000 Eltern von 46.000 Kindern plus 5.000 ErzieherInnen gleich 97.000 Wählerstimmen. Können Sie darauf verzichten?“

Nach von der Geschichte mehr als überholten Melodien von Hannes Wader wurde Walter als „weltweit gefragtes“ Stadtoberhaupt gebrandmarkt, das sich aber zu Hause nicht kümmert, der die „Frauen im Senat sehr apart findet“, aber nicht auf sie hört. Augen- und ohrenscheinlich wolle der Mann „Kaiser von Ganzgroßberlin“ werden, wofür ihm, so ein Plakat am Wasserklops, „von Frau Momper die Hammelbeine langgezogen“ gehören.

Gewerkschaftsübergreifende Solidarität war auf der Schlußkundgebung angesagt. Statt der KiTa-Kämpen Kurt Lange (ÖTV) und Erhard Laube (GEW) redeten KollegInnen von Metall, Handel, Banken, Textil, Bekleidung, Garten, Land- und Forstwirtschaft. Sie forderten ihre Organisationen zu mehr Unterstützung der ErzieherInnen auf. Der Kampf der KiTa -Beschäftigten für mehr Mitbestimmung ihrer Arbeitsleistung und -bedingungen sei auch ein Kampf für die anderen Gewerkschaften. Die „ÖTV-Männer“ wurden gefragt, wieso der Müll noch abgeholt werde, die Busse noch führen und die Verwaltung immer noch so schön verwalte. „Wo bleibt Eure Solidarität?“

Insgesamt waren gestern 370 der 396 städtischen KiTas bestreikt. Zu Solidaritätsstreiks kam es in sieben Ganztagsschulen. Neben Charlottenburg bietet nun auch der Bezirk Wedding betroffenen Eltern KiTa-Räumlichkeiten zur „eigenen“ Betreuung ihrer Kids an. O-Ton: „Küchenkräfte und Reinigungspersonal sind vorhanden“.

kotte