: Der Teufel steckt im Flimmerkasten
■ Reformen im polnischen Fernsehen: Im Kampf zwischen ausgewogen und offen siegt die unfreiwillige Komik
Solidarnosc fordert Veränderung im TV, schrieb im Januar eine Warschauer Tageszeitung. Jetzt hat Solidarnosc den Salat, und mit ihm die polnischen Fernsehzuschauer. Polens Fernsehprogramm verkommt immer mehr zu einer Mischung aus Tranquilizer und Laienspielgruppe. Ausgerechnet das Flaggschiff von TV-Chef Drawicz, die Tagesschau, schlägt dabei alle Rekorde. Einstmals war sie der Hauptpropagandaknüppel der KP, gehaßt im ganzen Land. Dann kam Drawicz und versprach Besserung: Pluralismus, Offenheit, neue Gesichter. Besonders letzteres forderten zahlreiche Medienpolitiker, Andrzej Wajda etwa, der in der Tagesschau einer verschüchtert nickenden Ansagerin erklärte, seine Wähler verlangten den Abgang jener Personen, die als Sprecher nach 1981 das Kriegsrecht propagiert hätten. Und Andrzej Wajdas Wähler pflegen zu kriegen, wonach ihrem Senator der Sinn steht. Drawicz, der sich noch kurz zuvor hinter TV-Sprecher Baranski (denn der war unter anderem gemeint) gestellt hatte, unterschrieb die Entlassung. Inzwischen ist ein Drittel der leitenden Redakteure und Chefs des polnischen Fernsehens gegangen worden, und in der Tat, es hat sich was geändert: Die Tagesschau heißt jetzt Nachrichten, hat ein neues Logo, neue Sprecher und ein völlig neues Konzept. Von jedem Reporter wird jetzt verlangt, das Augenmerk auf jeden Fall auf die Taten der neuen Regierung zu richten. Da kann in Aserbaidschan der Bürgerkrieg toben und im Kosovo der Ausnahmezustand herrschen, die Abendnachrichten beginnen mit einem fröhlichen Mazowiecki, der durch die Brüsseler Altstadt spaziert und vom Wohlwollen der Belgier für Polen schwärmt.
Trotzdem soll es Leute geben, die behaupten, Polens Nachrichten seien gegen die Regierung. Diese Ansicht entspringt der Erkenntnis, daß dem einfach so sein muß: Nur sieben von 75 sind „Neue“, der Rest der Nachrichten -MitarbeiterInnen entstammt der alten Nomenklatura. Die „Alten“ versuchen so zu arbeiten, wie sie glauben, daß die „Neuen“ an ihrer Stelle es tun würden. Doch allzuviel ist ungesund: Vor Angst, der Zensur bezichtigt zu werden, wird kaum noch etwas bearbeitet. Wie lange ihre Sendung dauert, wissen die Nachrichtenleute oft selbst nicht im voraus.
Pluralismus versteht man in der Redaktion so, daß jeder zu Wort kommen muß, ganz gleich, was er zu sagen hat. Zu diesem Zweck wurde eigens die Institution „Verlautbarungen“ innerhalb der Nachrichten geschaffen. Etwa zehn Minuten lang (von insgesamt 25) hagelt es dort Gegendarstellungen, Berichtigungen, Erklärungen. Eine Zeitlang konnte man zu dem Schluß kommen, der eigentliche Chefredakteur sei der Pressesprecher des Innenministeriums, Oberst Garstka. Auf jede wie auch immer geartete Kritik an der Polizei hin hielt dieser am nächsten Abend eine Standpauke, wie schädlich solche Vorwürfe seien. Als er schließlich gar drohte, jedes einzelne im Land aufgeklärte Verbrechen zum Beweis der Fähigkeit seiner Beamten ausführlich zu erläutern, wurde es sogar der Tagesschau-Redaktion zu bunt. Seither sind persönliche Auftritte die Ausnahme, ein Sprecher liest die Verlautbarungen vor.
Der neue Pluralismus beschränkt sich hauptsächlich auf die Nachrichten, obwohl es eigentlich gerade andere Programmteile sind, die eine Reform brauchten könnten. Jeden Samstagnachmittag etwa flimmert so das Ehepaar Gucwinski, die Chefs des Breslauer Zoos, über den Bildschirm. Das Ganze soll so eine Art Grzymek-Ersatz darstellen: Die Kameraeinstellung steht eine halbe Stunde lang auf einem vor Schreck erstarrten Zooelefanten, während Pani Gucwinska aus dem Off ausführlich darlegt, was normalerweise ein Elefant alles tut, wenn er nicht verschüchtert im Breslauer Zoo, sondern beispielsweise in Afrika in der Steppe steht. Dieses Prinzip läßt sich mühelos auch auf andere, vorzugsweise phlegmatisch veranlagte Tierarten ausdehnen: „Wenn Ihnen ein Krokodil das Bein abbeißt, so wird es Ihnen anschließend fehlen.“
Kein Wunder, daß der Kater nach Drawiczs Kaderpolitik im Funkhaus schon soweit gediehen ist, daß bereits die ersten Gerüchte von seinem Abgang in Umlauf gesetzt wurden. In Stettin ernannte er einen Solidarnosc-Funktionär zum Chef des Lokalfernsehens L, der bei Amtsantritt erklärte, er werde ein Kreuz auf seinen Schreibtisch stellen. Eine lokale Solidarnosc-Zeitung karikierte ihn daraufhin in doppelter Bekleidung: oben Armeeuniform, unten Soutane. Der Chefredakteur der Zeitung wurde degradiert, der Herausgeber entschuldigte sich persönlich beim Fernsehchef, und die Gesamtauflage wurde eingestampft.
Daß sich im Sendehaus eine neue Nomenklatura breitmacht, behaupten inzwischen nicht nur von der Arbeitslosigkeit bedrohte Parteipropagandisten. Der Unabhängigkeit und dem Einfallsreichtum der Journalisten ist diese Athmosphäre wenig zuträglich: Ein falscher Schnitt, und am nächsten Tag sieht man sich womöglich mit den Forderungen von Andrzej Wajdas Wählern konfrontiert. Daß es auch anders geht, davon kann man sich abends gegen 22 Uhr überzeugen: Panorama des Tages nennt sich eine schwungvolle, gelegentlich sogar freche und witzige Nachrichtensendung, die eines der angeblichen Grundprinzipien der Tagesschau perfekt, aber völlig ohne Verkrampfung verwirklicht: keine Propaganda, keine Kommentare. Mehrere Mitarbeiter wurden bereits zur Tagesschau versetzt - zwecks Entkrampfung derselben.
Klaus Bachmann
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