Monokohltur

Ich mag den Fernseher nicht mehr anmachen. Wann werden wir endlich von Kohl und seiner Gang befreit? Die Chancen stehen schlecht. Er wird garantiert wiedergewählt, von all denen, die von drüben rüberkommen. Auch deshalb macht ER die DDR kaputt: Destabilisierung als Wählerbeschaffungsmaßnahme!

Sie verpesten unsere Sprache. „Früher“ war die BRD gar kein richtiges Land, so hatten wir das in der Schule mit Erfolg gelernt. Was wir hatten, war, was wir taten und aus der Vergangenheit eine moralische Verpflichtung. Statt nationalem Geschwafel wurde konkret gesprochen über Wirtschaftsdaten, Bündnissysteme, moralische Wertungen, ökologische Probleme etc. Das zumindest gab es an politischer Kultur: Bei keinem Problem konnte ein Redner in Nationalgeschwafel ausweichen. Jetzt ist das alles weg: Ins Land darf nicht, wer Gewinn bringt oder Not leidet oder verfolgt ist, sondern wer deutsch ist. Die Wiedervereinigung ist gut, nicht, weil sich unser Leben dadurch verbessert, weil sie die Entwicklung Europas fördert, sondern weil es um Deutschland geht. Da müßte doch in einem Aufschrei alles hellhörig werden, denn daran haben immer nur wenige verdient.

Der Kohl, zunächst belächelt als wandelnder Kabarettersatz, hat diese Sprachverelendung angefangen: Kein Satz von ihm im Fernsehen ohne die Vokabel „deutsch“ an allen möglichen und unmöglichen Ecken - Globalersatz für jegliche Aussage. Modell eines Kohlersatzes: „Wir werden als Deutsche selbstverständlich sehen, wie wir als Deutsche mit diesem Problem, das ja nicht zuletzt auch ein deutsches Problem ist, umgehen werden.“ Liebe HörerInnen, das war das Statement unseres großen Kanzlers und Berufsenkels zu Robbensterben und Ladenöffnungszeit.

Früher war das absurd und lächerlich. Dann kamen die „Republikaner“, und es wurde unangenehm. Jetzt kommt die DDR, und es wird unerträglich und schädlich.

(...) Jetzt rollt sie los, die Kohlroulade und DM-Walze, die alles plattmacht. Wo beim Zerfallen der alten Sicherheitsstrukturen und dem Ausgleich zwischen verschiedenen Systemen höchste Sensibilität erfordert wäre, kennt ER nur noch Deutsche, erblindet dieser größte Kanzler seit Bismarck vor Stolz und Eitelkeit: „Ja, wenn das kein historischer Tag war, dann weiß ich nicht, was ein historischer Tag sein soll“, und ist mit dem Weltgeist auf du und du: „Ich sage Ihnen, die, die da meinen, die Wiedervereinigung wäre über Nacht zu haben, die haben keine Ahnung vom Gang der Geschichte.“ Liebe ReporterInnen, nehmt es bitte zur Kenntnis: Jeder Tag mit Helmut Kohl ist ein Tag in der Geschichte der Deutschen.

Hurra! Endlich ist er mir gelungen, der echte Kohlsatz, the one and only! So schön banal. Achselzuckend sagt man: Na ja, wieso nicht, klar, es ist ein Tag in der Geschichte aller Menschen wie jeder Tag, Tag ist nun mal Tag, mit oder ohne Kohl. Wo ist da denn überhaupt die Aussage?

Der Satz ist so verzweifelt dumm, daß das rationale Hören an ihm leergeht - und das soll es auch. Ja, genauso wird es uns in unserer allerallerjüngsten Vergangenheit täglich eingebleut, von den harmlosesten ReporterInnen: Kohl, Geschichte, Deutschland! Endlich ist er da, der neue (alte) ersehnte Mythos, der den Alltag des Regierungschefs - und selbstverständlich den aller Deutschen - in ein gewisses Höheres oder Dumpferes einbindet: den Gang der Geschichte der Deutschen! Wie in der Oberstufe: Statt Politik Geschichte. Michael Stürmer! Spätgeborenenverein - das ich nicht lache! Wie früh Habermas das erkannt hatte! Aber jetzt hat nur einer noch Recht: Kohl. Denn das, was er macht, ist deutsche Geschichte. Leider.

R.Lütticken, Krefeld