Heroisch in den Bunker

Deutschlandpolitik führt zu neuem Fundi-Realo-Streit bei den Grünen  ■ K O M M E N T A R E

Die galoppierende Zersetzung der Hamburger Grün-Alternativen Liste (GAL) ist mehr als nur ein Lokalereignis. Die GAL war immer symptomatisch für die besondere linke Geschichte bei den Grünen: Dort herrschte im Zweifelsfall das Primat der Strömungspolitik über die Politik. Mit der Zerschlagung der SED-Diktatur und dem Druck der Leipziger Straßen zur deutschen Einheit tauchte innerhalb der Grünen ein neuer Glaubenssatz auf: die Zweistaatlichkeit. Je mehr die „Utopie“ der Zweistaatlichkeit vom Tempo der Wiedervereinigung von unten (und von oben) vernichtet wurde, desto mehr erneuerte sich der kaum überwundene Realo-Fundi -Streit.

Die Furcht vor einem hegemonialen Großdeutschland ist noch gemeinsam. Sie aber treibt offenbar die Grünen nun bis an den Rand der Sezession. Die einen versuchen, trotz Trauerarbeit über den verlorenen Dritten Weg, sich politisch in den Prozeß der Einheit einzuschalten. Sie wollen zerstörerische Beschleunigung konterkarieren und setzen sich ein für eine politische Parität beider Staaten. Für die anderen, die Linkssektierer, die Ökosozialisten, ist der Verlust der Zweistaatlichkeit, die Niederlage selbst die wahre Weihe für die Richtigkeit des Dogmas. Verrat ist es schon, beim Prozeß der Vereinigung überhaupt zu intervenieren. Das ist pure politische Selbstenthauptung. Ignoriert wird, daß sich jetzt ein gesamtdeutscher Kampf gegen ein Großdeutschland abzeichnet. Dieser Kampf wird praktisch, unübersichtlich, mit wechselnden Koalitionen geführt werden; er verlangt Schnelligkeit und Vision, verlangt eine marktwirtschaftliche Wirtschaftsreform und Kapitalismuskritik. Wenn die Anzeichen nicht trügen, hat die erste Anschlußwelle - die forcierte Währungsunion durch Kohl und die flutende Gier nach DDR-Immobilien - die DDR -Bevölkerung zur Interessenorganisation und zu einer ersten praktischen Kapitalismuskritik gezwungen. Hier beginnt die Auseinandersetzung der Zukunft. Die bundesdeutschen Linkssektierer ziehen einer lebenspraktischen Zweideutigkeit nun die Eindeutigkeit des Dogmas vor. Ihre Vorstellung: Vereinigung aller „linken Kräfte“, hüben und drüben, für eine dauerhafte linke Opposition. Unübersehbar schielen sie nach der PDS. Eine perverse Position: Eine solche Linke beschwört im Medium ihrer Niederlage geradezu das Großdeutschland.

Es ist denkbar, daß an dieser Geschichte die Grünen kaputtgehen. Vor allem aber wird eine Haltung verewigt, die der bundesdeutschen Linken immer schon inhärent war: Intellektuellenfeindschaft mit Volksfeindschaft zu beantworten. Logischerweise beschimpfen die Dogamtiker der Zweistaatlichkeit das DDR-Volk als nationalistischen Mob, der nichts Besseres verdient hat, als vom bundesdeutschen Imperialismus gefressen zu werden. Am besten das Volk abwählen! Nein, kein Spott! Die Politik Verlierer-aller -Länder-vereinigt-euch ist eine Gefahr, weil sie lähmt.

Für die Hoffnung einer linken Politik - nicht gegen, sondern mit dem Prozeß der Vereinigung - sind alle Kräfte nötig, die sich nur dann entfalten, wenn sie sich nicht von vorneherein als Opposition definieren. Der Prozeß der Einheit zwingt die DDR-Bevölkerung zur Kritik der Gesellschaft, in die sie kommen sollen. Es gibt keinen Grund, die Mühe und die Chancen der neuen politischen Generation in der DDR zu verachten. Immer noch kommt aus dem Osten das Licht. Damit es weiter leuchten kann, braucht es Zeit - die jetzt erkämpft werden muß.

Klaus Hartung