Die „Perle Berlins“ ist trübe geworden

■ Bürgerinitiative Müggelsee kämpft gegen eine Motorbootinvasion aus dem Westen an / Ein Hauptproblem: Der See ist zugleich Trinkwasserreservoir für die OstberlinerInnen / Problem Tourismus: Noch sind die Ufer weitgehend intakt

Vor vierzig Jahren fing er an, auf dem Müggelsee zu segeln. Damals konnte er mit dem Seewasser noch Kartoffeln kochen. Heute, so klagte der Segler, traue er sich nicht mal mehr recht, zum Baden in die trüben Fluten zu steigen. Er war nur einer von vielen Anwohnern, die sich am Freitag abend in Friedrichshagen zu einer Versammlung eingefunden hatten, zu der die neugegründete „Bürgerinitiative Müggelsee“ eingeladen hatte. Tenor der über hundert Menschen: Der Müggelsee - „die Perle Berlins“ - sei jetzt schon bedroht; doch nun drohe eine „Tourismuswelle ohne Gleichen“ über ihn hereinzubrechen.

Die Hauptforderung der Anwohner formulierte BI-Sprecher Thomas Kasper gleich zu Beginn der Versammlung: „Ein sofortiges und vollständiges Fahrverbot für Motorboote“. Zu den Hunderten von Zweitaktern der Marken „Neptun“, „Möve“ und „Forelle“, die heute schon ihr Öl-Benzin-Gemisch in den See träufeln lassen, kommt jetzt die Flut der 20.000 Motorboote aus West-Berlin - so befürchten es zumindest die Friedrichshagener. Und es ist nicht allein der Lärm der Boote, den die Ostberliner fürchten müssen. Denn der Müggelsee ist auch ein Wasserreservoir, aus dem das Wasserwerk Friedrichshagen täglich an die 60.000 Kubikmeter Trinkwasser pumpt. „Alles, was wir in den See hineinschütten“, klärte ein BI-Mann die Bürger auf, „das läuft durch den Wasserhahn in unsere Wohnung zurück“.

Auch die Behörden, sowohl Gewässeraufsicht als auch Hygieneinspektion, hätten deshalb seit Jahren das Motorbootverbot gefordert - wenn auch vergeblich, berichtete Werner Rummel von der Staatlichen Gewässeraufsicht (SGA). Sogar ein Badeverbot halten die Behörden eigentlich für angebracht. Das beste wäre, meinte Rummel, „der See ruht still vor sich hin“.

Auf Teilen des Müggelsees lebt sie noch, die gewünschte Idylle. Süd- und Westufer seien „im wesentlichen intakt“, berichtete ein engagierter BI-Mann. Kilometerweit zieht sich ein Erlenbruchwald; der Röhrichtgürtel ist zusammengeschrumpft und von Lücken durchbrochen, aber er ist vorhanden. Drosselrohrsinger, in ganz Europa bedroht, nisten hier und der Haubentaucher. Selbst einige Seerosenteppiche breiten sich auf der Wasserfläche noch aus. Auf diesem schwankenden Grund bauen die Trauerseeschwalben ihre Nester.

„Ohne die putzigen Paarungsspiele des Haubentauchers ist die Wanderung im Herbst doch nur noch die Hälfte wert“, predigt der Naturschützer. Doch was sind die Spiele des Haubentauchers gegen die Vergnügungssüchte von 3,4 Millionen Berlinern? Über 500.000 Badelustige streben jetzt schon jährlich an den Müggelsee. Auf den 41 Fahrgastschiffen der Weißen Flotte passieren jedes Jahr etwa 25 Millionen Fahrgäste das Gewässer - viele von ihnen pinkeln durch Plumpsklos direkt in den See. Und an schönen Sommertagen kreuzen außerdem einige hundert Motorboote durch die Fluten, die nicht nur eine Lärmschneise hinterlassen, sondern auch Motoröl, Benzin und Blei.

Heute schon steht der See kurz vor dem Umkippen. Seit Beginn der siebziger Jahre habe sich die Wasserqualität drastisch verschlechtert, berichtete der Hydrologieprofessor Peter Mauersberger den Bürgern. Im Schnitt ist der See nur fünf Meter tief, doch bis auf den Grund blicken läßt er sich schon lange nicht mehr. Auf 70 Zentimeter sei die Sichttiefe mittlerweile gesunken, nur noch halb soviel wie zu Beginn des Jahrhunderts.

Düngemittel aus der Forst- und Landwirtschaft sowie Phosphate aus Waschmitteln, die die Spree aus den ungenügend ausgerüsteten Klärwerken entlang ihres Oberlaufs herantransportiert, hätten für ein Überangebot an Nährstoffen gesorgt, erklärte der Professor. Die Algenmenge sei schon doppelt so hoch wie noch vor 20 Jahren - eine Gefahr für den Sauerstoffgehalt im See. Der Gehalt an Stickstoff und Phosphat liege heute zehnmal höher, als es die Gewässeraufsicht eigentlich zulassen wolle, bestätigte Werner Rummel den Bürgern.

Die Motorboote sind nicht die Hauptquelle für die Wasserbelastung, das räumten auch die BI-Aktivisten ein. Im Gegensatz zu Industrieumbau und Klärwerkssanierung sei ein Bootsverbot aber rasch durchzusetzen. Außerdem treffe es eine verschwindende Minderheit, assistierte Jochen Bona, der für die Grüne Partei am Ostberliner Runden Tisch sitzt. Eine Friedrichshagenerin konnte das nur unterstützen: Von „Privilegien“ sei in den letzten Monaten so viel gesprochen worden. Die Motorbootfahrer müßten sich deshalb auch einschränken.

Die ersten Protestbriefe einheimischer Freizeitkapitäne sind bei der BI freilich schon eingetroffen. Auch unter den Bürgern am Donnerstag abend waren Bootsfahrer, die fragten, ob man nicht wenigstens die Durchfahrt noch erlauben könnte. Ein differenziertes Fahrverbot, das der Magistrat nach Westberliner Vorbild übernehmen will, reicht nicht aus, darin waren sich die meisten Bürger trotzdem einig. Es sei außerdem zum Teil kaum zu überwachen, argumentierte einer die Westberliner Wasserschutzpolizei hätte beifällig genickt.

Hans-Martin Tillack