: „Im Tarifstreit gibt es niemals Sieger“
■ Interview mit dem Berliner ÖTV-Chef Kurt Lange zum KiTa-Streik und zur Politik des Senats, den Streik in die aktuelle Deutschlandpolitik einzubauen / Welche Rolle spielen Gewerkschaftsforderungen bei der Vereinigung von BRD und DDR?
taz: Wie fühlt sich ein Gewerkschafter, der mit Hilfe der AL gegen Sozialdemokraten kämpfen muß?
Lange: Nicht sehr gut. Nicht, weil die AL den Erziehern und Erzieherinnen hilft, sondern weil es in der SPD offenbar keine Mehrheit dafür gibt, gewerkschaftliches Recht auf Tarifverträge nun auch entsprechend politisch zu unterstützen. Aber ich würde mich auch sehr schlecht fühlen, wenn dieser Arbeitskampf nun alleine gegen die CDU gerichtet wäre. Arbeitskämpfe zu führen, ist immer eine Belastung für die Betroffenen.
Haben Sie den Senat unterschätzt in seiner Kompromißlosigkeit?
Der Tarifvertrag ist am 8. August 1988 vom damaligen Innensenator Wilhelm Kewenig überreicht worden. Von mir kann niemand erwarten, daß ich Wilhelm Kewenig unterschätze. Wir hatten einen Arbeitskampf von über zwei Wochen an den Universitäten, um einen Tarifvertrag bei den TutorInnen durchzusetzen. Mir war bewußt, daß auch dieser KiTa -Tarifvertrag nur mit Arbeitskämpfen zu erreichen ist. Was ich allerdings nicht für möglich gehalten habe, daß wir auf die vielfältigen Kompromisse, die wir angeboten haben, kein einziges positives Signal von den verantwortlichen Führern der Senatsmannschaft bekommen haben.
Das Argument wird kommen, in Friedrichshain oder Pankow müßten Kindergärtnerinnen mit 25 bis 30 Kindern...
Das stimmt nicht. Wie kommen Sie darauf. Es gibt einen Personalschlüssel auch in den Kindergärten in Ost-Berlin. Dieser Personalschlüssel ist nur minimal schlechter als bei uns und...
...funktioniert jetzt aber nicht mehr...
Der funktioniert nicht mehr, weil gegenwärtig die Situation in den Tagesstätten genauso in Unordnung ist wie in vielen Produktionsstätten.
Er funktioniert aber auch auf der Basis von Nettogehältern zwischen 500 und 800 Mark.
Ja, das Gehalt alleine ist nicht ausschlaggebend. Ausschlaggebend bleibt das, was man sich dafür leisten kann. Und wenn in der DDR die Preise mit dem Fahrstuhl nach oben ziehen und die Löhne auf der Treppe nachwandern, dann wird auch das anders. Entscheidend bleibt, das wir uns überlegen müssen, wenn es nach dem 18. März zu einer wie auch immer gearteten Vereinigung kommt, daß Solidarität zwischen gleichen Berufsgruppen möglich bleibt.
Sie bestreiten, daß die Situation der KollegInnen in Ost -Berlin schlechter ist als die der KollegInnen in West -Berlin?
Ich bestreite, daß man pauschal sagen kann, deren Personalausstattung sei schlechter. Auch bei denen sind unterschiedliche Gruppeneinteilungen vorhanden - und damit auch unterschiedliche Personalschlüssel. In bestimmten Bereichen ist das besser, in anderen schlechter. Wenn man unter beides einen Strich ziehen würde und die Resultate vergliche, würde man dahin kommen, daß die Bedingungen nicht viel anders sind. Die Einkommensbedingungen spielen dabei eine andere Rollen, wenn ich eine Miete von 70 Mark habe.
Angenommen, die Erzieherinnen gehen als Sieger aus diesem Konflikt hervor: Wer soll das dann bezahlen?
Erst einmmal gibt es in einem Tarifstreit niemals Sieger. Nur Kompromisse. Das ist das Geschäft eines Tarifpolitikers
-eben den anderen nicht niederzuzwingen. Wir wollen nicht die SPD-Mehrheit im Senat in die Knie zwingen. Wer das bezahlen soll? Wer Geld hat für Olympia, wer Geld hat für repräsentative Aufgaben, der muß auch Geld haben für soziale Leistungen. Die Alltagsprobleme der Menschen bleiben und sind die Hauptaufgabe von sozialpolitisch orientierten Politikern. Und da muß man dann umverteilen - nicht nur in Berlin. Die Steuerreform hat Besserverdienenden eine Menge Geld in die privaten Taschen gelenkt.
Notfalls müßte man also auf ein Projekt wie die olympischen Spiele verzichten, solange die Zustände im Gesundheits- und Sozialwesen so sind wie sind?
Ich bin allerdings der Meinung, daß die Alltagsprobleme der BürgerInnen in Berlin-West und in Berlin-Ost wichtiger sind als repräsentative Shows wie Olympia oder andere teure Vergnügen.
Unabhängig von Großprojekten wird die Vereinigung enorme Kosten verursachen. Ist da nicht die Haltung des Senats verständlich, keinen Millimeter zu weichen, weil sonst als nächstes die Altenpfleger und Krankenschwestern etc. kommen?
Die gesamte Vereinigung ist nur zu bewältigen, wenn alle BürgerInnen und die Wirtschaft an den Kosten, die da auf uns zu kommen, beteiligt werden. Ein Gewerkschafter wird aus seiner Sicht immer die Position vertreten, daß diejenigen, die Reichtum im Überfluß haben, diesen Reichtum für die Vereinigung zur Verfüpgung stellen - und zwar in weitaus größerem Maße als diejenigen, die zu einem Tariflohn arbeiten müssen, mit dem sie sich gerade so zurechtfinden.
Soll heißen: die westlichen Arbeitnehmer werden keinen Millimeter weichen...
Ich glaube, daß diese Vereinigung auch bei den ArbeitnehmerInnen in der Bundesrepublik und Berlin-West zu Belastungen führen wird. Das ist gar keine Frage. Die Frage ist, wer das in erster Linie zu zahlen hat. Und da werden die Gewerkschaften - und viele andere Gruppierungen - dafür sorgen, daß es nicht allein die ArbeitnehmerInnen sind, die die Kosten dieser Vereinigung zu übernehmen haben. Und dabei geht es nicht nur um die ArbeitnehmerInnen im Westen, sondern auch die ArbeitnehmerInnen im Osten. Das kann nicht sein, daß der kleine Mann auf der Straße die Kosten der Vereinigung übernimmt - der in der DDR dadurch, daß ihm die Preise weglaufen, und der in der Bundesrepuzblik Deutschland dadurch, daß er steuerlich derart zur Kasse gebeten wird, daß er seinen Lebensstandard nicht mehr halten kann.
Das ist natürlich eine hehre Forderung, die Vereinigung nicht auf Kosten der ArbeitnehmerInnen zu vollziehen. Es ist aber absehbar, daß gerade der Bereich soziale Versorgung sehr heftig umkämpft sein wird. Im Vorteil werden zumindest die sein, die organisiert sind - zum Beispiel in Gewerkschaften. In einer Zwei-Drittel-Gesellschaft werden die Gewerkschaften zunehmend nicht das untere Drittel vertreten, sondern eine relativ gesicherte Mittelschicht. Alles was drunter liegt, wird vergessen...
Das sehe ich nun wirklich anders. Diese Frage beruht auf der Einschätzung, daß die Gewerkschaften Lohnmaschinen sind und lediglich dazu dienen, den von ihnen vertretenen Interessengruppen den maximalen Lohn zu verschaffen. Was wir hier im KiTa-Bereich machen hat eine völlig neue Qualität. Es ist zum ersten Mal der Versuch, nicht mehr für die vertretenen Interessengruppen allein Regelungen zu schaffen, sondern durch Regelungen für Interessengruppen, etwas an jene weiter zu geben, die von der Dienstleistung für diese Interessengruppen betroffen sind. Dieser Tarifvertrag, den wir da wollen, ist kein Tarifvertrag für Erzieherinnen und Erzieher, sondern ein Tarifvertrag für Kinder. Wir wollen, daß mehr Zeit für die pädagogische Betreuung der Kinder zur Verfügung steht. Und das sind die Kinder der sozial Schwächeren in den Kindertagesstätten. Die besser Verdienenden bringen ihre Kinder in Ekitas. In den städtischen Kindertagesstätten sind die Kinder jener Frauen, die berufstätig sein müssen, weil sie ganz alleine ihr Kind erziehen müssen - meinetwegen auch jener Männer.
Es gibt aber Tausende von Kindern, die nicht einmal einen KiTa-Platz haben. Durch bessere pädagogische Betreuung würden die besser versorgt, die schon einen Platz haben. Aber langfristig verhindern Sie, daß die anderen überhaupt einen kriegen.
Da spielt man die Not der einen gegen die Not der anderen aus. So was habe ich schon immer gehaßt. Es geht nicht darum, den Kindern auf den Wartelisten ein längeres Warten zuzumuten, sondern um den Willen der politisch Verantwortlichen, Prioritäten im Sozialbereich auch ernst zu nehmen. Ich kann mir vorstellen, daß die eine oder andere zur Zeit noch über den Haushalt finanzierte Subventionierung der Wirtschaft sinnvollerweise als soziale Dinstleistung für den Bürger zur Verfügung gestellt werden konnte.
Wenn dieser Streik erfolglos bleibt - und das bedeutet für Sie ja: keine Tarifvereinbarung - was sind die Folgen im KiTa-Bereich?
Man vermutet ja, daß diejenigen, die mit absolutem Nein auf Tarifforderungen reagieren, den Gewerkschaften eins auswischen wollen. Ich gehe allerdings nach wie vor davon aus, daß wir Erfolg haben. Die Leidtragenden einer Niederschlagung dieses Arbeitskampfes durch die SPD-Mehrheit im Senat sind noch nicht einmal die gewerkschaftlich organisierten Erzieherinnen und Erzieher, sondern das sind die Strukturen in den KiTas. Es wird eine Welle der Abwanderung einsetzen. Alleine der Frust, auch der moralische, der menschliche...
Mehr als streiken können die ErzieherInnen nicht. Was kann man eigentlich jetzt noch nachschieben?
Nachschieben das wird sehr schwierig...
Dienst nach Vorschrift bei der BVG?
Das nutzt nicht viel. Wir haben das schon einmal versucht das ist nicht lange durchzuhalten, weil die Belastungen des einzelnen Fahrers so groß sind, daß er selber als Person dazu gar nicht die Kraft hat. Der müßte beispielsweise nach den Vorschriften immer aussteigen und gucken, ob da noch ein Fahrgast mit will. Das ist kein effektives Mittel. Interview
Andrea Böhm/Thomas Kuppinge
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