Alles klar - keiner wußte Bescheid

■ Die Bekenntnisse des Egon Krenz in der 'Bild‘

Ohne Dialektik denken wir auf Anhieb dümmer; aber es muß sein: ohne sie! Dieser vielgescholtene Satz von Botho Strauß (1981) erweist sich heute als prophetisch. Egon Krenz erklärt die Hintergründe der Befreiung der DDR, und da ist keine Dialektik weit und breit. Im Gegenteil, Honecker war überall, das Prinzip Erich (ist gleich: altes Arschloch knechtet das Volk) hat gegen das Prinzip Egon (ist gleich: Junge aus armen Verhältnissen trifft Rasselbande von Freunden, die dem Alten das Handwerk legen) gewonnen.

Geschichte ist also, lerne ich aus der Serie, die Umzingelung des Schurken an der Spitze der Schurkerei, von der niemand etwas gewußt hat. Aus dem Liebknechtschen „Wissen ist Macht“ und dem kulturpessimistischen Satz, daß alle Macht von Übel sei, hat im 20. Jahrhundert das deutsche Volk die Konsequenz gezogen: „Nichtwissen ist am Besten.“

Mir kamen die Sowjetmenschen, die in den stalinistischen Säuberungsprozessen ein falsches Geständnis nach dem anderen ablegten, immer sehr protestantisch vor. Da haben wir eine andere Geständniskultur entwickelt. Carlo von Tiedemann wollte nur einer Drogensüchtigen helfen, aber das gesteht er offen. Egon Krenz wollte den wahren Sozialismus, und das gesteht er offen.

Jetzt merke ich, daß das katholisch ist - bei allem mitmachen, wo was zu holen ist, und wenn die Sache auffliegt, die Schuld daran dem Teufel in die Schuhe schieben.

Was lerne ich als Linker aus diesem Sachverhalt? Ganz einfach, wir müssen uns wieder auf die Suche nach dem Satan machen. Ganz ohne einen oder zwei Schuldige geht die Chose nicht. Die Lösung liegt schon auf jedem westdeutschen Bistro -Tisch, denn hier wird seit dem 9. November 1989 dialektisch zurückgedacht. Die DDR war ein gesellschaftliches Verhältnis, aus dem sich niemand durch die Gnade des Nichtgeborenseins verantwortungslos herausstehlen kann. Dieses Verhältnis wurde besonders durch das Volk der BRD einschließlich West-Berlins unterstützt. Daraus folgt: Das ganze deutsche Volk gehört eingesperrt. Wir brauchen eine Mauer in den Grenzen von 1937.

Matthias Beltz

Kabarettist vom Vorläufigen Frankfurter Fronttheater