Sahnetörtchen vom Patriarchen

■ Konditorei Knigge auch weiterhin nach alter Schule / Süßes Leben ohne Betriebsrat

Konditorei Knigge in der Sögestraße: Seit hundert Jahren traditionsreicher Name und über die Grenzen Bremens bekannt für exquisite Feinbäckerei und unausrottbare Benimmregeln.

„Das will ich hier aber nicht mehr sehen“, herrscht Herr Knigge senior, Alleinherrscher über 100 Beschäftigte und beste Torten, eine junge Bedienung an. Sie hatte sich unsichtbar für Kunden und Gäste - im Kaffeeausschank eine Zigarrette angesteckt. Ein kleines Sichtfensterchen in der Tür hatte sie verraten.

Schweiß und Tränen in der Schwarzwälder Kirschtorte? Den adretten Obsttörtchen und Serviererinnen ist nichts anzumerken. Erstere perfekt verziert mit Borkenschokolade und Sahnekringeln, letztere mit frischgestärkten Spitzenschürzchen. Hunderte von Sorten Champagnerkugeln und feines Gebäck für 8,90 Mark je hundert Gramm runden das Ambiente der gehobenen Konditorklasse ab. Hier ist frau noch wer: Feine Damen mit Hut rühren ahnungslos in den Tassen aus feinstem Porzellan und spreizen den kleinen Finger ab.

„Nein, einen Betriebsrat wollen wir hier nicht“, klärt mich eine nette Serviererin in der Ver

schwiegenheit des Ausschank raumes auf, wo auch andere Bedienstete sich drängeln. Die anderen nicken beipflichtend. Und das habe man der Gewerkschaft Nahrung-Genuß-Gaststätten auch bereits mitgeteilt. Um Probleme am Arbeitsplatz zu besprechen, „haben wir jetzt Sprecher für jeden Arbeitsbereich bestimmt. Wir wollen es noch mal so versuchen.“ Was denn im einzelnen nicht stimmt im ZuckerbäckerInnen-Geschäft, darüber halten sich die Damen bedeckt. Und schließlich haben sie ja auch etwas zu tun.

Dabei war Rolf Schusdziarra von der Gewerkschaft auf Bitte von Beschäftigten bei Knigge aktiv geworden. Sie hatten die miesen Arbeitsbedingungen beklagt. Tarifverträge gibt es im ganzen Konditorhandwerk nicht. „Die ArbeitnehmerInnen sind Freiwild. Maximal 15 Arbeitstage Urlaub, und Löhne und Gehälter nach Nase“, beklagt der Gewerk

schafter. Auf einer Beschäftigtenversammlung vor drei Wochen waren die Betroffenen über ihre Rechte informiert worden. Schusdziarra: „Herr Knigge schwankte zwischen Herzinfarkt und Wutausbruch.“ Um seine Gesundheit zu schonen, delegierte er an Knigge junior, der auf einer erneuten Versammlung erfolgreich die Nachteile eines Betriebsrates unter die Belegschaft streute. Anschließend teilte der betriebs -älteste Kellner der Gewerkschaft mit, man habe von dem Wunsch nach einem Betriebsrat Abstand genommen.

So viel Indoktrination mochte der Gewerkschafter nicht mitansehen: Er drohte dem Törtchen-Imperator mit Presse und Arbeitsgericht. Ein Wahlvorstand könne notfalls über das Arbeitsgericht eingesetzt werden. Solcherlei „erpresserische Methoden“ mißfallen Herrn Knigge: „Wo gibts denn so etwas, daß in einer Demokratie Minderheiten entscheiden.

Das ist Diktatur.“ Schließlich sei er ein Vertreter des freien Marktes und keine Mafia. In seinem traditionsreichen Haus sei es schließlich 100 Jahre ohne Betriebsrat gegangen. Seine Belegschaft könne mit ihm über alles reden. „Und ein Betriebsrat ist, wie Sie wissen, eher auf Konfrontation als auf Kooperation eingestellt.“ Er behält sich gegen die Eigenmächtigkeit der Gewerkschaft rechtliche Schritte vor.

Gestern abend sollten auf einer erneuten Beschäftigtenversammlung die drei Wahlvorstände gewählt werden. Ob die mindestens drei engagierten Beschäftigten, die dafür nötig sind, dort versammelt waren, ist fraglich: „Da geht heute abend keiner hin,“ versicherten einstimmig die acht Serviererinnen, bevor sie wieder auseinanderstoben, um unter dem wachenden Auge des Chefs Tabletts durch das Cafe zu balancieren.

Beate Ram