Jahrelang vom Stiefvater vergewaltigt

■ 15jähriges Opfer kein Einzelfall / 150 Vergewaltiger von Kindern werden in Bremen jedes Jahr überführt

Es passiert täglich und es passiert in sogenannten „besseren Kreisen“ genauso wie bei sogenannten „einfachen Leuten“: Sexuelle Mißhandlung von Mädchen. Unbemerkt selbst von den eigenen Müttern, den Geschwistern, den besten Freunden, den Klassenlehrern werden Kinder und junge Mädchen jahrelang von ihren Vätern, Stiefvätern , freundlichen Onkeln und netten Bekannten se

xuell mißbraucht.

Seit einer Woche ist ein weiterer unter Hunderten von unerkannten Vergewaltigern in Bremen überführt. Der 32jährige Mann, ein gutsituierter Angestellter, hatte jahrelang immer wieder seine eigene Stieftochter vergewaltigt. Durch massive Drohungen erzwang er während der gesamten Zeit das Stillschweigen seines Opfers. Selbst

die eigene Mutter, die mit dem Vergewaltiger ihrer Tochter in zweiter Ehe verheiratet ist und mit ihm einen achtjährigen Sohn hat, ahnte nach Überzeugung der Kripo nichts von den Dramen, die sich jahrelang in der gemeinsamen Wohnung abspielten, sobald sie das Haus verlassen hatte.

Am 24. Februar diesen Jahres, nach fünfjähriger Tortur, in der das inzwischen 15jährige Opfer

aus Angst geschwiegen hatte, offenbarte sie sich erstmals ihrem türkischem Freund und ihren beiden besten Freundinnen. Alle drei beschlossen, ihrer Freundin zu helfen. In ihre Pläne weihten sie eine erwachsene Bekannte ein.

Das 15jährige Mädchen, dessen Namen die Bremer Polizei zu eigenen Schutz strikt geheimhält, hatte an diesem Tag Hausarrest, den der Stiefvater und Vergewaltiger verhängt hatte, um sie von ihrem gleichaltrigen Freund zu trennen. Unter einem Vorwand gelang es den Freunden dennoch, ihr für eine halbe Stunde Ausgang zu verschaffen. Gemeinsam mit der erwachsenenen Vertrauensperson regten sie an, sofort die Kripo zu verständigen, um weitere Vergewaltigungen zu verhindern. Das mißlang. Noch am selben Nachmittag verging sich der Stiefvater erneut an der 15-jährigen. Bei einem weiteren Anruf ihrer Freundinnen gab das Mädchen nun endlich seine Zustimmung, die Polizei einzuschalten.

Noch am selben Nachmittag des 24.2. machten sich gegen 18 Uhr zwei Beamte des 2. Kommissariats auf den Weg in die Wohnung. Auch vom Eintreffen der Beamten wurde das Mädchen von ihren Freundinnen rechtzeitig in

formiert. Sie trafen das Opfer allein mit ihrem jüngeren Stiefbruder an. Als der Stiefvater später nach Hause kam, wurde er festgenommen. Gegen den Vergewaltiger, der inzwischen ein weitreichendes Geständnis abgelegt hat, wurde Haftbefehl erlassen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn wegen „sexuellen Mißbrauchs von Schutzbefohlenen.“ Sein Opfer wurde von Mitarbeitern des Jugendamt in eine geheimgehaltene Betreuungseinrichtung gebracht.

So unglaublich ihr Schicksal scheint: Eine Ausnahme ist es auch in Bremen nicht. Allein 1988 wurden bei der Kripo 153 Fälle des sexuellen Mißbrauchs von Kindern offiziell erfaßt. Die Bremer Selbsthilfe-Initiative Schattenriß, die sich die Beratung und Betreuung von sexuell mißhandelten Mädchen zur Aufgabe gemacht hat, schätzt die Dunkelziffer aufgrund einer Vielzahl von Statistiken auf das 20fache. Das heißt: Auch nach der Verhaftung des 32jährigen Vergewaltigers werden jährlich schätzungsweise 300.000 Kinder und Mädchen vergewaltigt. 3.000 von ihnen in Bremen.Einige wahrscheinlich gerade jetzt.

K.S.