Wenn sich der Wille zu Millionen gestaltet

■ Kultursenatorin Martiny zog Bilanz zu einem Jahr rot-grüner Kulturpolitik, Dezentralität und deutsch-deutscher Kunst - und will nun den 17. Juni abschaffen

Draußen vor dem Rathaus Schöneberg tanzte gestern die unvermeidliche Samba-Gruppe der unvermeidlichen UFA-Fabrik den üblichen drohenden Kulturuntergang, der höchstens noch durch die sofortige Verlegung einiger kleinerer Rettungs -Milliönchen aus dem Kulturkässlein in die Tempelhofer Wollsparsocke abgewendet werden könnte. Drinnen sprach unterdessen SPD-Kultursenatorin Anke Martiny zum Thema „Ein Jahr Kulturpolitik des SPD/AL-Senats - Bilanz und Perspektiven“, was auch nicht viel aufregender war. Denn während draußen sich der Wille zu Millionen gestaltet, werden drinnen dieselben hin und her verwaltet.

Neu war drinnen also nur, daß Martiny die Abschaffung des 17.Junis als Feiertag schon in diesem Jahr in Aussicht stellte, wo dieser ohnhin auf einen Sonntag fällt, was Ärger mit den Gewerkschaften ersparen würde. Denn schließlich solle das bewußte Berliner-Berliner Zusammenwachsen nicht durch überflüssige Symbole behindert werden. Und die Abschaffung dieses Gedenktages könnte wiederum ein „Signal für eine politische Kultur ohne Feindbilder“ sein, wobei wir allerdings Brandts Enkelin erstaunt fragen, ob der „Tag der deutschen Einheit“ bisher solche transportiert hätte? Was wiederum einen zukünftig einzurichtenden Ersatzfeiertag betrifft, so weiß Martiny allerdings noch nicht so recht: „Vielleicht etwas aus der Revolution von 1848.“ Von dieser kleinen retro- bzw. perspektivischen Schwäche einmal abgesehen, hätte Martiny mit diesem Vorschlag immerhin eines ihrer bei Amtsantritt gemachten Versprechen zumindest einmalig eingelöst: Sich als Kulturpolitikerin nämlich auch um die Verfeinerung der politischen Sitten kümmern zu wollen.

Ansonsten das Übliche: Deutsch-deutsch liefe alles ganz prima, vor allem zwischen den Museen, den Orchestern und den Opern. Vor allem aber dürfe nicht die kommunale Müllentsorgung zum Maßstab aller deutschen Dinge werden, wo die Kultur doch gesellschaftlich vorreiten müsse etc. Dennoch hätte Martiny diverse Katastrophenpläne in der Schublade für den einstürzenden Überbau im Osten, wo sich zudem ein zunehmender „Autoritätsverfall“ in der Kulturadministration inklusive Bröseln der Infrastruktur und künstlerischer Identitätskrisen breitmachte. Aber vor allem: „Mit der Finanzierung des Haushalts in Ost-Berlin ist es zur Zeit ganz kompliziert, und niemand weiß, ob wir da einspringen müssen.“

Vorerst wird allerdings erstmal rüber geholt: und zwar höchstwahrscheinlich das Staatliche Filmarchiv der DDR (z.Z. Potsdam-Babelsberg) ins Filmhaus Esplanade, mit dessen Umbau nun wirklich begonnen werden soll. Hinüber soll dafür das Jazz-Fest gehen und zwar in Form von Veranstaltungen und in Gestalt von 30 Prozent der Karten, während an der allgemeinen Eintrittskartenregelung für Ostler im Westen immer noch herumgeregelt wird. Neuester Vorschlag: Ostler zahlen an der Abendkasse 25 Prozent für die übriggebliebenen Karten. Ebenfalls unter der Rubrik „deutsch-deutsche Kulturpolitik“ wird der Katholikentag geführt. 3,5Million zur Erstversorgung von Ostlern auf Opiumentzug steuert der Kulturetat bei.

Für die vor einem Jahr noch so zentralthetische „Dezentrale Kulturarbeit“ blieben in Martinys zwölfseitigem Bilanzpapier gerade noch elf Zeilen übrig: Hier wird jedoch - wie schon im laufenden Jahr - auch für das nächste noch einmal eine Aufstockung der Mittel um zwei Mio. DM in Aussicht gestellt. Zuvor wird allerdings ab Herbst die Sache mit dem neuinstallierten bezirklichen Beiratsmodell ausgewertet, was wiederum schon 1991 unweigerlich in einen „Erfahrungsbericht“ münden wird. „Frauen“ wiederum sind zwar im Oktober schon öffentlich angehört worden, weil das so schön war, könnte frau das gleich noch mal wiederholen, und zwar unter Einschluß der Damen aus dem Osten. Kapitel „Freie Gruppen“: zehn Zeilen, dennoch: neuer Vergabebeirat, in dem nur die Gruppenvertreter sitzen, mehr Geld, angeblich sogar doppelt soviel wie früher, je nachdem wie man das mit der Spielstätten-, Projekt-, Lottomittelförderung usw. zusammenrechnet oder auseinanderdröselt - für die Klientel allerdings immer noch in jedem Fall zuwenig, so daß die Austrocknung der freien Theaterlandschaft immer noch stündlich bevorsteht. Und zwar auch dann noch, wenn die UFA -Fabrik den begehrten und versprochenen festen Platz im Haushaltsplan jetzt doch bald kriegt - wofür dann die Theatermanufaktur den Tisch der Herrin verlassen müßte, was diese zwar nicht sagte, aber dennoch andeutete. Denn schließlich hätte die UFA-Fabrik „überregionalen Charakter“ und hat deshalb im Dezentralen - wenn auch geographisch ebendort gelegen - verwaltungstechnisch nichts verloren. Denn 500 damalige öffentliche Diskussionsveranstaltungen hin, Verwerfung der Begriffe angesichts allgemeiner Verdeutsch-deutschung her: Was das mal war vor einem Jahr: „dezentral“, „multikulturell“, „feministisch“ - wir wußten's nie und werden's nie erfahren. Und nicht etwa, daß daran auch die Kultursenatorin schuld ist.

Gabriele Riedle