Vom Nachttisch geräumt

■ Twist: Martin Heidegger "Aufenthalte"

Im Frühjahr 1962 fuhr Heidegger nach Griechenland. Es war seine erste Reise dorthin. Jetzt sind seine Aufzeichnungen von dieser Fahrt erschienen. Die pompöse Verklemmtheit dieser Notizen, die ahnungslose Selbstentlarvung dieses offensichtlich verdepperten Alten, macht einem gütigen Leser die Lektüre peinlich. Härtere Gemüter werden ihren Spaß daran haben. Die Notizen beginnen mit einem Hölderlin-Zitat, dann spricht der Meister: „Dieses aus einer großen Verlassenheit aufsteigende, schmerzlich rufende 'Wo?‘ - was sucht dieses Fragen? Was erblickt der Dichter im Rufen?“ Wer zu dieser Geste den Augenaufschlag nicht sieht, wer nicht hört, daß dieses o mindestens die dreifache Länge hat, der hat nicht lesen gelernt. Verlogener läßt sich nicht schreiben. Verlogen? Wenn es offen verlogen gibt, dann ja. Jeder Ton ist Attitude, keine Geste kommt frei aus dem Gelenk, alles ist vertwistet, verbogen, verquetscht. Daß Heidegger das Besichtigungsprogramm einschränkt, nicht jeden Tempel betrachten, nicht jedes antike Theater ansehen will, stattdessen lieber auf dem Schiff bleibt, verstehe ich gut. Zuviel Welt schadet nur. Aber warum zum Teufel schreibt er dann: „Weder ein Eigenwille noch ein Ruhebedürfnis hielten mich davon ab, angesichts der lockenden Insel an Land zu gehen. Die Sammlung in ein erneutes Nachdenken verlangte ihr Recht.“ Bei soviel schamloser Stilisierung wundere ich mich nicht mehr, daß der Freiburger Vorsokratiker sein Land der Griechen pünktlich in Delos findet und sich auch nicht scheut, uns offen darzulegen warum: „Sie ist nämlich selber der Bereich des entbergenden Bergens“, „Delos heißt die Insel: die Offenbare, die Scheinende“. Heidegger, ein glücklicher Tourist, der Gold exakt dort findet, wo es glänzt. Keine Realität konnte ihm den Zugang zu den Wörtern verbauen. „Let's twist again“ war seine Devise. Der Band bringt rechts Heideggers Handschrift, links den Druck. Beigefügt wurden die Griechenland-Aquarelle seiner Frau. Ein schönes Buch.

Martin Heidegger, Aufenthalte, ca 70 Seiten, 3 farbige Abbildungen, 32 DM