Vom Nachttisch geräumt

■ Zelig: Alphons Silbermann "Verwandlungen - Eine Autobiographie"

Ein geschwätziges Buch. Am unangenehmsten an den Stellen, da der Autor versichert, er wolle einen jetzt nicht mit Einzelheiten behelligen und gehe darum über zur nächsten Episode. Soweit so unerträglich. Gelingt es, sich gegen diese Klippen zu wappnen, so wird man die „Verwandlungen“ des Alphons Silbermann mit Genuß lesen. Es gibt nichts Vergleichbares in der Geschichte des deutschen Mandarinats. Der Autor, der Medienwissenschaftler der Bundesrepublik, einer der Erfinder der Disziplin, ein Mann, der Forschungsgelder abzapfen konnte, wie kaum ein anderer, dessen Anzüge von untadeligem Schnitt und Sitz waren und sind, beschreibt sein Leben wie man es vom Theatervölkchen kennt: je bunter, je lieber. Wer so etwas wie eine Geschichte der bundesrepublikanischen Soziologie erwartet, wird arg enttäuscht werden, aber wer darauf beharrt, ist selbst schuld. Er bringt sich um den Genuß, einem zuzuhören, der so sehr von sich eingenommen ist, daß man ein verstockter Idiot sein müßte, sich diesem kompetenten Urteil nicht anzuschließen. Es mag eine ganze Reihe Professoren der Soziologie geben, die ein eigenes Institut führen, vielbesuchte Seminare leiten und außerdem noch ein interessantes Liebesleben betreiben, aber wer von ihnen schreibt darüber? Wie miefig nehmen sich die Haschmatratzen der Endsechziger neben dem Herrn aus, der dieser Studentenbewegung so gar nichts abgewinnen konnte, vielmehr für Springer den Medienmarkt analysierte, fürs Notstands -Innenministerium und das Bundespresseamt arbeitete, sich dann zuhause von seinem Beppino oder Hubert verwöhnen ließ in einer Zeit, da der Paragraph 175 noch eine ernste Bedrohung war. Alphons Silbermann erzählt davon genauso schnoddrig wie von seiner Flucht vor den Nazis, die ihn Kellner in Paris und Besitzer einer Reihe von Fast-Food -Lokalen in Australien werden ließ. Ein „Zelig“, den die Zeitläufte aus seiner Kölner Juristenkarriere in unzählige Verwandlungen trieben. Dazu noch eine Geschichte mit happy end. Silbermann hat den Pogrom nicht nur überlebt, er weigert sich auch, sich von der Erinnerung daran, den Appetit verderben zu lassen. Das reizt an ihm. Zum Widerspruch und zur Identifikation.

Alphons Silbermann, Verwandlungen - Eine Autobiographie -, Gustav Lübbe-Verlag, 574 Seiten, 48 DM