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Währungsunion wird Abwanderungsdruck verstärken

Bleiben Löhne in der DDR niedrig, kommen die Leute rüber / Steigen die Löhne schneller als die Produktivität, geht die Pleitewelle los - und die Leute kommen auch  ■  Von Rudolf Hickel

Berlin (taz) - Der Forderung nach der sofortigen Verwirklichung einer deutsch-deutschen Währungsunion, auf deren Basis dann erst die Wirtschaftsintegration beschleunigt werden soll, läßt ökonomische Vernunft vermissen. Währungsunion heißt, daß in einem ersten Schritt die DDR-Mark durch die BRD-Mark ersetzt wird. Die Diskussion, wie gegenüber dem bisher offiziellen Wechselkurs eine Ost-Mark gleich eine West-Mark (bzw. dem Schwarzkurs 10:1) ein dem industriellen Gefälle entsprechender Kurs zu definieren ist, wird hinfällig. Der Wechselkurs als Puffer zwischen dem industriellen Gefälle der beiden dann noch selbständigen Wirtschaftsräume, verliert seine Funktion. Der internationale Konkurrenzdruck schlägt voll auf die DDR -Wirtschaft durch. Der damit entstehende Anpassungsdruck läßt einen sozial flankierten Umbau der Wirtschaft kaum zu.

Wird die Ost- durch die West-Mark ersetzt, dann reduziert sich die Frage der Wechselkurse auf die Festlegung eines einmaligen Umtauschsatzes für das bisherige Bargeld sowie die Geldvermögensanlagen am Tag X. Nach dem Tag X werden dann die künftigen Unternehmensrechnungen sowie die Einkommenszahlungen auf der Basis von Arbeit und Eigentum und die Sozialeinkommen in D-Mark geleistet. Durch die D -Mark-Umrechnung wird einerseits das Gefälle der Produktivität, d.h. des Beitrages einer Arbeitsstunde zur Produktion sichtbar. Nach bisherigen Berechnungen liegt die Produktivität in der DDR ungefähr um die Hälfte niedriger als die in der BRD. Andererseits schlagen sich die massiven Produktivitätsrückstände auch in entsprechend niedrigeren Lohneinkünften sowie Sozialeinkommen - etwa für Rentner nieder.

Warenangebot steigt

Solange dem Bezug von Löhnen und Sozialeinkommen „vor Ort“ kein quantitativ und qualitativ ausreichendes Angebot an Konsumgütern und -dienstleistungen gegenübersteht, verschlechtert sich eher die Lage. DM-Kaufkraft konzentriert sich auf die BRD. Ein entscheidender Grund für die Übersiedlung, nämlich die Lohneinkünfte nicht konsumtiv zufriedenstellend nutzen zu können, würde sich verstärken. Es ist jedoch damit zu rechnen, daß durch die Einführung der D-Mark als Rechnungs- und Zahlungseinheit die Bereitschaft zum Warenangebot aus der Bundesrepublik deutlich wachsen wird, denn bisher hat die unsichere Situation der Ost-Mark hinderlich gewirkt. Auch ausländische Importe sind infolge der D-Mark-Einführung zu erwarten. Dann aber bewirken die vergleichweise geringen Löhne und das bisherige System der Preissubventionen für dieses importierte Warenangebot Absatzprobleme. Die Einkommenspolitik bei gleichzeitiger Anpassung des Preissystems kann nicht unabhängig von der schrittweisen Steigerung der Produktivität vollzogen werden.

Die Auszahlung der Löhne in D-Mark offenbart endgültig das große Lohngefälle. Das durchschnittliche Monatseinkommen eines Arbeitnehmers in der DDR liegt - auf der Basis einer Umrechnung von 1:1 - bei 1.100 DM, während dieses in der BRD mit 3.300 DM dreimal so hoch ausfällt. Ist jedoch in absehbarer Zeit ein Abbau des Lohngefälles nicht zu erwarten, dann ist es - auch im Sinne der neoklassischen Entscheidungslogik - rational in die Bundesrepublik überzusiedeln. Die Währungsunion verstärkt im Widerspruch zur Zielsetzung der Bundesregierung somit das Motiv zur Übersiedlung in das „Hochlohnland“ Bundesrepublik.

Dieses Lohngefälle sowie die damit verbundene Gefahr weiterer Abwanderungen werden jedoch relativ schnell den Druck, die Löhne in der DDR zu erhöhen, verstärken. Derartige Lohnzuwächse wären jedoch im produktionswirtschaftlichen Bereich zumindest für die kurze Frist nicht durch eine entsprechende Steigerung der Produktivität gedeckt. Würden allerdings bei niedrigerer Produktivität die Lohnsätze stärker steigen, dann wäre ein weiterer Verlust der internationalen Konkurrenzfähigkeit vorprogrammiert. Die Exportchancen müßten sinken; der Zufluß ausländischen Kapitals nähme ab. Schließlich ist bei den Arbeitnehmern trotz des Anstiegs der Nominallöhne ein Reallohnverlust wahrscheinlich.

Werden die bisherigen Preissubventionen in Höhe von ca. 50 Milliarden Ost-Mark ohne Ausgleichsmaßnahmen abgebaut, dann sind zwei Entwicklungen vorstellbar: Entweder müssen die Reallohnverluste hingenommen werden. Auch das würde das Motiv, in die BRD überzusiedeln, steigern. Oder aber es kommt bei den Lohnerhöhungen zu einem sich aufschaukelnden Wettlauf zwischen der Angleichung des Nominallohngefälles gegenüber der BRD und dem Ausgleich der Reallohnverluste infolge des Abbaus der bisherigen Preissubventionen. Durch die unmittelbare Einführung der Währungsunion gerät die Lohnpolitik unter den Druck einer gefährlichen Verselbständigung, die den notwendigen, produktivitätssteigernden Umbau der Wirtschaft behindert.

Jährlich 144 Milliarden

Die Einsicht, daß die Lohnerhöhungen zum Ausgleich des Gefälles gegenüber der BRD sowie der Kaufkraftverluste durch den Abbau der Preissubventionen zu schwerwiegenden Entwicklungsproblemen in der DDR führen können, legt den Gedanken nahe, das Lohngefälle zumindest vorübergehend über einen Finanzausgleich durch die öffentlichen Haushalte der BRD zu überspielen. Um den durchschnittlichen Lohnabstand nach Abzug der öffentlichen Abgaben von derzeit ca. 1.300 im Monat für ca. 9.5 Millionen Erwerbstätige in der DDR auszugleichen, ergäbe sich allein für einen Monat ein Finanzbedarf von ungefähr zwölf Milliarden DM. Über das Jahr gerechnet, mußten 144 Milliarden DM aufgebracht werden. Eine derartige Globalfinanzierung des Lohnausgleichs durch die Bundesrepublik ist ökonomisch und fiskalisch wenig sinnvoll. Eine dringend erforderliche Koppelung der Lohnentwicklung an die Verbesserung der Produktivität der DDR-Wirtschaft würde völlig verdeckt. Die Mittel zur Finanzierung des Umbaus der Wirtschaft sowie der Infrastruktur würden dadurch unzulässig eingeschränkt.

Durch eine Übernahme der D-Mark wird dem Lohngefälle vergleichbar auch das niedrige Niveau der Sozialeinkommen, das Rentner beziehen, sichtbar. Eine Anhebung der Renten drängt sich nicht nur wegen dieses Gefälles, sondern auch infolge der Kaufkraftverluste durch den Abbau der Preissubventionen auf. Als wichtigster Reformschritt müssen diese Sozialeinkommen an die Nettolohnentwicklung angekoppelt werden. Durch diese Dynamisierung wird eine Teilhabe an den Lohnerhöhungen im Ausmaß der Produktivitätssteigerung und des Preisausgleichs gesichert. Zugleich muß ein System der Arbeitslosenversicherung aufgebaut werden. Denn sicher ist, daß eine produktivitätssteigernde Umstrukturierung der Wirtschaft unter dem Druck der internationalen Konkurrenz die bisher verdeckte Arbeitslosigkeit sichtbar machen wird und die Zahl der Arbeitslosen im Rahmen unvermeidbarer Betriebsstillegungen massiv ansteigen läßt.

Derzeitige Schätzungen zur beschäftigungsspezifischen Wirkung der DDR-Sanierung gehen von einem Anstieg der Zahl der Arbeitslosen auf zwei bis 2,5 Millionen aus. Für eine Übergangsphase muß die Finanzierung dieser Arbeitslosenversicherung durch die Bundesrepublik übernommen werden. Das ist der Preis für den Abbau des ökonomischen Gefälles und damit für die Wirtschaftsannäherung.

Fazit: Auf dem entwicklungsrelevanten Gebiet der Lohnpolitik wird deutlich, daß die schnelle Einführung der Währungsunion und damit die Umstellung von Ost- auf West -Mark dringend erforderliche Anpassungsprozesse erschwert und Risiken hervorruft. Der Spielraum der Einkommensverteilung wird durch den produktivitätssteigernden Umbau der Wirtschaft, begleitet von sozial-ökologischen Infrastrukturmaßnahmen, bestimmt. Deshalb kommt es darauf an, diese Umbaumaßnahmen aus der Bundesrepublik durch die schnelle Lieferung von Gütern und Dienstleistungen zu unterstützen. Im Mittelpunkt stehen hier technologisch hochwertige Investitionsgüter, deren Zulieferung finanziell durch die öffentlichen Haushalte gesichert werden muß. Eine solide Basis für eine Politik der Lohnausweitung und - vermittelt über die öffentlichen Haushalte - der indirekten Sozialeinkommenssicherung kann auf Dauer nur durch eine Verbesserung der sozial-ökologisch kontrollierten Produktionsbedingungen geschaffen werden.Der Bremer Ökonomie-Professor Rudolf Hickel ist Mitglied der „Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik“, die jährlich als Kontrapunkt zum offiziellen Sachverständigenrat ihr „Gegengutachten“ herausgeben. Auf der morgigen Wirtschaftsseite gehen wir den Konsequenzen der Umbenennung der Sparguthaben nach.

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