Basteln an der „einen Front“

■ Zum versuchten RAF-Anschlag auf Ignaz Kiechle

Die kleine Koalition der gutwilligen RAF-Exegeten auf der einen und der eingefleischten Verschwörungstheoretiker auf der anderen Seite scheint nach dem mißglückten Attentat auf Ignaz Kiechle bereits vorprogrammiert. Sie werden aus unterschiedlichen Gründen die Bekennererklärung und das nachgereichte Eingeständnis des Scheiterns flugs zum Fake erklären. Auf den ersten Blick ist die Angelegenheit ja wirklich schwer nachzuvollziehen: Ausgerechnet Kiechle, diese seit Jahren aus dem öffentlichen Leben verschwundene bayerische Nullnummer, soll die RAF-Kämpfer zum Äußersten gereizt haben! Da lachen ja die Karnickel im Stall - könnte man meinen.

Leider scheint wahrscheinlich, daß der gescheiterte Anschlag eben nicht dem übersteigerten Geltungsbedürfnis und der Phantasie irgendeines Möchtegern-Revoluzzers entsprungen, sondern so real war, wie der gegen Bankchef Herrhausen vor drei Monaten. Und das ist dann gar nicht mehr lustig. Es hat eben nicht geklappt - glücklicherweise. Tatsächlich reiht sich die Aktion bruchlos ein, in eine ganze Serie von Anschlägen - vom Molli in einem Siemens -Klassenraum über Sprengsätze auf RWE und die Deutsche Bank, bis hin zum tödlichen Attentat auf Herrhausen - deren über das konkrete Anschlagsziel hinausweisende Begründungzusammenhänge sich stereotyp wiederholen: Es geht um die Zusammenlegung „der politischen Gefangenen in spanien, hier und weltweit“. Die „revolutionäre Praxis“ müsse sich „an den unterschiedlichen Widerstandsstrukturen orientieren, aber als eine Front zusammensetzen“. In ihrer verqueren Logik versuchen die Militanten der verschiedenen Ebenen aus der Not eine Tugend zu machen: Die direkte Kommunikation zwischen Untergrund, Revolutionären Zellen, Kämpfenden Einheiten und den Unterstützergruppen ist seit langem schwer gestört, wenn nicht gänzlich zusammengebrochen. Sie wird nun ersetzt durch die Uniformität der Erklärungen und des Ziels „Zusammenlegung der Gefangenen“. So wird nach außen aber auch nach innen Einigkeit dokumentiert und an der Fiktion der „einen Front“ gebastelt.

Ob die Politiker das Symbol verstanden haben, das einer der ihren potentielles Ziel eines Attentats war, muß leider bezweifelt werden. Ausgangspunkt der aktuellen Anschlagserie war der gescheiterte Hungerstreik vor einem Jahr. Die politisch motivierten Durchhalteparolen von der Nichterpreßbarkeit des Staates insbesondere in den unionsregierten Ländern erweisen sich jetzt als ausgesprochen kurzsichtig. Doch auch die Gegenrechnung der RAF wird nicht aufgehen. Potentiell betroffene Politiker werden sich eher als Helden denn als Feiglinge gerieren - in der Hoffnung, daß es einen andern trifft. Die Zusammenlegung läßt sich nicht herbeibomben.

Gerd Rosenkranz