Mit einem Stück Land in die Marktwirtschaft

Nach vierzig Jahren real existierendem Sozialismus verkehrte Welt auf dem Lande: Erst Besitzerehre macht aufmüpfig  ■  Von Bettina Markmeyer

Neuendorf (taz) - Zwischen der grauen Rückwand der Maschinenhalle vom Gärtner L. und dem Haus Nr. 18 in Neuendorf führt ein schwarzer, ausgefahrener Weg an jenem Zaun entlang, der seit Tagen die Gemüter in dem kleinen Dorf im südlichen Spreewald erhitzt. Das Wochenende über hat Hildegard Selleng, die mit ihrem Mann und den zwei Söhnen im Haus Nr. 18 wohnt, beobachtet, wie die Arbeiter des Gärtnereibetriebs die Zaunpfähle einrammten. Sie wartete, bis die Drähtezieher der Gärtnerei auf dem Stück Land ankamen. Dann setzte sie sich in den Zug und fuhr hundert Kilometer nach Berlin, „zur Zeitung“. „So geht das jetzt nicht mehr“, meint die resolute Fünfzigjährige, „jetzt, wo die Mauer aufgegangen ist.“ Denn das nun eingezäunte Land, das von der LPG im benachbarten Lübben genutzt wird, gehört auch ihr. Und wo Eigentum an Grund und Boden bald wieder etwas zählt in der DDR, ist der Zaun in Neuendorf zu einem grundsätzlichen Problem geworden.

Die Sellengs besitzen gut drei Hektar Land, das sie 1960 in die LPG einbringen mußten. „Von unserm Land hatten wir nichts mehr“, meint sie, die jahrelang selbst in der LPG gearbeitet hat.

Die private Gärtnerei jedoch lagert seit Jahren auf dem nun frisch eingezäunten Land, das den Sellings und drei weiteren Dorfbewohnern gehört und von der LPG genutzt wird, die Kohle für die Beheizung der Gewächshäuser. Über Jahre hinweg trauten sich die Eigentümer nicht, gegen diese Nutzung vorzugehen. Jetzt wollen Hilde Selleng und die anderen im Dorf wissen, was für einen Vertrag ihre LPG in Lübben mit der Gärtnerei gemacht hat. Doch statt einer klaren Auskunft bekommen sie vom LPG-Vorsitzenden nur nebulöse Antworten. Für Gerhard Hoffmann, Sellengs Nachbar zur anderen Seite, besteht „immer noch die Frage, ob da in den letzten beiden Jahren überhaupt irgendwas abgesprochen worden ist“. Ihre LPG jedenfalls, da sind sich die GenossenschaftsbäuerInnen einig, hat sie gegenüber dem Gärtner nicht vertreten.

Der für Bodenrechtsfragen zuständige Ökonom der Lübbener LPG, der nicht genannt werden will, nennt des Gärtners Landnahme eindeutig „illegal“. Die „Vereinbarung“ zwischen ihm und der LPG habe darin bestanden, daß jener bis Ende 1988 den vier Neuendorfer BesitzerInnen das Land für seinen Kohleplatz hätte abkaufen müssen. Einen Kaufvertrag oder gar Geld haben die vier EigentümerInnen aber nie gesehen. Warum die LPG-Leitung sich nicht gegen die „illegale Nutzung der genossenschaftlichen Fläche“ gewehrt habe, kann er nicht beantworten. „Privilegien“, heißt es wie zur Erklärung, „hat es eben auch für manche privaten Betriebe gegeben.“ Der Einfluß des Gärtners L. sei überall groß gewesen, „das wird wohl auch hier so gewesen sein“.

Für Hilde Selleng ist jetzt nichts mehr „gewesen“. Für sie steht fest, daß der Gärtner das Land vereinnahmen will: „Ich stell‘ nicht auf jemanden sein Land Pflöcke, wenn ich's nicht wegnehmen will!“ Sie wollte ihr Grundstück nicht verkaufen, doch gegen die LPG, wo ihre Söhne noch Mitglieder sind, sei sie machtlos gewesen. Wie die anderen will sie jetzt jedoch nicht nur ihr Recht. Der Gärtner soll den Kohlenplatz räumen, aber nicht, damit anschließend die LPG das Land wieder beackert. Hilde Selleng will ihr Land von der LPG wiederhaben, sobald es die neuen Gesetze möglich machen, damit die Söhne dort bauen und sich eine Werkstatt einrichten können, wenn sie „womöglich bald arbeitslos werden“. Denn daß die LPG demnächst Arbeiter entlassen wird, ist allgemein bekannt. Und dann, so meint Hilde Selleng, „ist ein Stück Land doch eine Sicherheit.“

„Wie die Eigentumsgesetze nach den Wahlen aussehen werden, wissen wir nicht“, sagt Frau Selleng, „aber wir müssen uns jetzt zur Wehr setzen.“ Der Gärtner mit den guten Beziehungen hingegen, über deren Reichweite in Neuendorf nur hinter der vorgehaltenen Hand spekuliert wird, macht keinen Hehl daraus, daß er die Aufregung um den Kohlelagerplatz für einen Aufstand der Zwerge hält.

Tatsächlich jedoch ist dieser „Zwergenaufstand“ ein Kampf der EigentümerInnen, der hier begonnen hat, aber auch andernorts in der DDR stattfindet. In Neuendorf wollen die meisten Genossenschaftsbauern zwar vorläufig in der LPG bleiben. „Hier, in dieser Streusandbüchse braucht man schon siebzig Hektar, um rentabel zu sein“, überlegt Kurt Hoffmann, der Vorsitzende der Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe im Ort. „Und es fehlt auch an Geld, Maschinen, an Vieh. Man müßte ein paar hunderttausend Mark Schulden machen, um neu anzufangen.“ Doch wenn sich Gelegenheiten bieten - der Spreewald ist Urlaubsland und liegt im Einzugsbereich von Berlin - wollen sie in Zukunft über ihr Eigentum wieder selbst bestimmen. „Wollen wir doch mal spinnen“, sinniert Kurt Hoffmanns Sohn Gerhard, „es kommt nächste Woche jemand von drüben und bietet für den Quadratmeter soundsoviel Mark West. Warum sollen wir das Land dann jetzt für nichts weggeben?“