Wem gehört der Boden im Hause DDR?

■ Nicht nur in der DDR-Landwirtschaft ist die Zukunft des Bodenrechts ungeklärt / Von Bettina Markmeyer

Die deutsch-deutsche Geschichte schlägt immer wieder Kapriolen. Im Staate des proklamierten Volkseigentums und der landwirtschaftlichen Genossenschaften versucht die Regierung Modrow derzeit, die Rechte der Eigentümer zu stärken - um den übernahmewilligen Eigentümern im Westen etwas entgegenzusetzen.

Was wird nach den Wahlen aus dem Boden der DDR, aus ihrer Landwirtschaft? Für die mögliche Wahlgewinnerin SPD ist das bisher kein großes Thema; die Bodenreform von 1945 allerdings (s. Kasten) will auch sie erhalten wissen. Geht es nach der „Allianz für Deutschland“, so erledigt sich die Frage sowieso über den angestrebten Anschluß der DDR und die damit verbundene Übernahme der BRD-Eigentumsrechte.

Die bisher geltenden Fakten: Etwa ein Drittel des DDR -Bodens ist Volkseigentum, zwei Drittel sind in privater Hand. Die tatsächlichen Verhältnisse jedoch werden von den Nutzern bestimmt, deren Nutzungsrechte weitreichender sind als die Rechte der Eigentümer.

Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften (LPGs) bewirtschaften 86 Prozent der Nutzflächen in der DDR. Ein Teil dieser Fläche ist volkseigen, ein Teil gehört den Genossenschaftsbauern, ein Teil gehört Menschen, beispielsweise den Erben ehemaliger Genossenschaftsbauern, die nicht LPG-Mitglieder sind. Sie haben praktisch keinen Zugriff auf ihr Land. Genossenschaftsbauern sollen über die LPG-Mitgliederversammlung den Kurs der LPG mitbestimmen. Was jedoch auf ihrem eigenen, in die LPG eingebrachten Land geschieht, darauf haben sie keinen Einfluß. Sie bekommen lediglich sogenannte Bodenanteile (jährliche Anteile pro Hektar eingebrachter Fläche) ausgezahlt, deren Höhe jede LPG selbst festsetzt.

Derzeit artikulieren sich sehr unterschiedliche Interessen. Mitglieder und Nichtmitglieder der LPGs wollen ihren Boden aus der genossenschaftlichen Nutzung heraushaben. Demgegenüber möchten die meisten Genossenschaftsbauern angesichts der EG-Konkurrenz die großen, zusammenhängenden Äcker vor der Zerstückelung schützen, also die genossenschaftliche Nutzung absichern. Häuslebauer wollen Baugrundstücke frei kaufen, Grundstückseigentümer wollen verkaufen, Eigenheimbewohner wollen das Land, auf dem ihr Haus steht, besitzen.

An der Basis herrscht also ein unübersichtliches Kuddelmuddel. Derweil versuchen sich die Regierung Modrow, der Runde Tisch und Agrarpolitiker an einem schwierigen Manöver: einerseits nämlich bis zu den Wahlen die Rechte von DDR-Bodeneigentümern abzusichern und dem Eigentumsrecht Vorrang vor dem Nutzungsrecht einzuräumen; andererseits aber die Ansprüche von West-Eigentümern mit dem Hinweis auf die DDR-Nutzer abzuwehren (s. Interview).

Für die am 6. und 7.März stattfindende letzte Volkskammersitzung vor den Wahlen liegen verschiedene Gesetzentwürfe zum Bodenrecht vor. Landbesitz aus der Bodenreform, der bisher Beschränkungen unterlag und nicht geteilt, verkauft oder belastet werden durfte, soll bald anderem Grundbesitz gleichgestellt sein. Der Kauf und Verkauf von Grundstücken zum Hausbau soll frei stattfinden, die Rechte der LPGs sollen auf die reine landwirtschaftliche Nutzung der Flächen beschränkt werden.

Zugleich sieht eine Gesetzesinitiative der Demokratischen Bauernpartei Deutschland (DBD) vor, volkseigene landwirtschaftliche Nutzfläche in das Eigentum der LPGs zu überführen, um die Genossenschaften zu stärken. Ihnen und ihren Mitgliedern soll per Änderung des LPG-Gesetzes auch ein Vorkaufsrecht für ihre Flächen eingeräumt werden.

An mögliche Konflikte zwischen einzelnen Mitgliedern und der Genossenschaft ist hierbei offenbar weniger gedacht als an Auseinandersetzungen mit West-Interessenten. Die Bauernpartei verlangt außerdem staatliche Finanzgarantien, falls sich Ansprüche von West-Eigentümern nicht zurückweisen lassen. Nicht die Bodennutzer selbst, sondern die DDR müsse für die politischen Fehler der Vergangenheit zahlen.

Fortschrittliche und linke Gruppen haben sich bislang in der Frage der Eigentumsregelung noch nicht zu Wort gemeldet, kritisiert der Sprecher der Vereinigung für gegenseitige Bauernhilfe, Werner Wühst. Die Bauernhilfe, die sich am kommenden Wochenende auf dem ersten Bauerntag in Suhl in „Bauernverband der DDR“ umbenennen will, verlangt von der zukünftigen DDR-Regierung, denjenigen private und genossenschaftliche Eigentumsrechte zu sichern, die das Land heute bewirtschaften.

Die Bundesregierung hingegen, so ein Sprecher des Landwirtschaftsministeriums, drängt auf die Wiederherstellung des privaten Eigentums an Boden und entsprechende Verfügungsrechte auch für die Eigentümer, die in den Jahren nach der Bodenreform in den Westen geflohen und entschädigt worden sind. Unklar ist, ob sie dann die Entschädigung zurückzahlen müssen.

Hinter verschlossenen Türen tagende deutsch-deutsche Agrararbeitsgruppen und hinhaltende Äußerungen prägen derzeit überhaupt das Bild. Es zeichnet sich aber ab, daß die Bundesregierung die Ergebnisse der Bodenreform akzeptieren wird. Landwirtschaftsminister Ignaz Kiechle forderte auf einer Veranstaltung Mitte Februar in Delitzsch (DDR), alle Eigentumsformen zuzulassen, verwahrte sich aber dagegen, den Großgrundbesitz von vor 1945 wieder zu installieren. Die Arbeitsgruppe, die im bundesdeutschen Justizministerium über Fragen des deutsch-deutschen Bodenrechts brütet, hat noch „keine offizielle Meinung“, so ein Mitglied des Juristenteams. Um „atmosphärische Störungen zu vermeiden“, will man sich auch nicht zu den „Flüchtlingsvermögen“ aus den 50er und 60er Jahren äußern, also dem Land, das hierher geflohene Bauern drüben zurückgelassen haben. Zu erwarten ist, daß die jetzige Bundesregierung deren Eigentumsansprüche gegenüber den DDR -Nutzern unterstützt.

Obwohl in der DDR nicht wie hier am Landbesitz verdient werden konnte, hat das Land seinen Boden, „einen der kostbarsten Naturreichtümer“ (LPG-Gesetz), den es jetzt vor westlichen Beutemachern schützen will, keineswegs pfleglich behandelt. Durch Agrargifte, Düngemittel und Gülle im Übermaß ist die Bodenfruchtbarkeit immer weiter gesunken. Ausgeräumte Landschaften und riesige Felder fördern die Erosion, zu schwere Maschinen haben die Böden verdichtet. In Gebieten wie dem sächsischen Industrierevier rieselt jeden Tag eine enorme Gift- und Rußfracht aus der Luft herab. Zuviel Land, z.B. im Spreewald, wurde trockengelegt. Statt die Innenstädte zu pflegen, entstanden, wie vor den Toren von Magdeburg, Hochhauswüsten auf bestem Ackerland.

Mit der vorrangigen Sicherung des genossenschaftlichen Eigentums setzen Agrarpolitiker alten Stils, wie sie die Bauernpartei prägen, weiter auf industrielle, großflächige Landwirtschaft. Konservative wie der DDR-CDU-Vorsitzende de Maiziere meinen dasselbe, wenn sie den Landwirten versprechen, an erster Stelle ihr Privateigentum zu sichern. Grüne und Linke konzentrieren ihre Politik auf die Städte und haben für den wirklichen Schutz des Bodens, der sich im Zeitalter der Agrarindustrie nicht mehr allein aus den Besitzverhältnissen ergibt, keine Konzepte. Die frisch gewendete Rede gegen den Ausverkauf und für eine effektive und ökologische Bodennutzung klingt hohl.