KANALARBEITEN

■ „Rundfunk in Berlin - was könnte das sein?“ - Die 187.Expertenrunde in der Akademie der Künste

Ja, was könnte es nur sein, der Rundfunk? Das so ins Neutrum verunklarte Großthema war auch nach zweieinhalb Stunden „Gespräch über Demokratie, Kultur und Medien in den 90er Jahren“ am Montag in der Akademie der Künste (West) durch eine achtköpfige Expertenpodiumsreihe nicht definiert. Genausogut hätte man über Gesetze zum Schutz der deutschen Wurst oder die Quotierung von Elferräten rätseln können. Frühmorgens waren die Lastwagen der BRD-Großverlage Springer, Gruner und Jahr, Burda und Bauer zur Entwicklungshilfe in die DDR ausgerückt, abends referierte „Demokratie-Jetzt„-Vertreter Konrad Weiß treuherzig über das im Osten vom Runden Tisch frisch erarbeitete Medienkontrollratsgesetz, das durchaus Gesetzeskraft habe nur die Lücke des Vertriebs hat man eben übersehen. Und während die uneingeladene Kultursenatorin Martiny vom Westen aus im Sinne einer „Neuordnung“ und Erhaltung des „dualen Systems“ (was die Handhabung der Erstschaltwaffe Privatfunk meint) die DDR-Programme hin- und herschiebt und mit ARD und ZDF verrechnet, stellt sich der Ostler Weiß gar einen europäischen Kulturkanal vor, und zwei von drei einzig sprechenden Frauen weinen in der Akademie über die Vermagazinierung und Enteignung der SFB-Frauensendung „Zeitpunkte“. Hätte man doch lieber, wenn schon, denn schon, gründlichst über Anfang und Ende der Öffentlichkeit feuilletonisiert - der moderierende Matthias Greffrath entschied sich leider fürs Politisieren.

In Zeiten der frei flotierenden Menschenströme fiel also leider kein Wort über Unsinn und Unwesen öffentlich -rechtlicher und ost-westlicher Kanalisierung der Kanäle. Statt dessen standen sie alle an der auch vom Retterritter einer enzensbergerischen Öffentlichkeit nicht verhinderten noch wenigstens unterfütterten „Klagemauer“ (Greffrath). Gejammert wurde also über die (super)-terrestrischen Anschläge der Privaten auf das so genannte „kulturelle Gewebe“ (Freimut Duve, SPD), auf die „Grundversorgung“ (Volker Hassemer, CDU), auf den „kulturellen Auftrag“ (Alice Stöwer, AL), auf die in vorauseilendem Gehorsam wegexekutierte Wortkultur bzw. das „System zwischen Göbbels und Hugenberg“ - das ja die Idee des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gewesen sei - (nochmal Duve), auf die Immunität staatlicher Berieselung von „Klassiksendungen am Sonntagmorgen“ (Konrad Weiß, Demokratie Jetzt) usw.

Selbst der Advokat der Privaten, der Berliner Kabelrat Hans Hege leistete kollektive Selbstkritik, weil wir Fehler gemacht haben und nicht zufrieden sein können mit der „naturwüchsigen Entwicklung“ der Kabelträger usw., und Kulturgönner Volker Hassemer („ich als Kulturpolitiker, der ich 600 Millionen Mark für Kultur ausgegeben habe“), sich selbst linksaußen plazierend, will den Berlinern einen Kulturkanal schenken, da die Forderung nach einer Kulturisierung der Privaten mit der vorsätzlichen Theatralisierung der Deutschlandhalle gleichbedeutend sei. Andere Feinde hatte sich die Intellektuellenrunde nicht gegönnt: schmeichel-, kirch-, tamm- und lojewskilos saßen die SFB- und DDR-Medien-Lobbies vor und auf dem Podium, verschämt diverse Berlusconis und gleichsam herrenlos rollende Lastwagen beklagend und ansonsten immer munter auf Besserung hoffend.

Hoffend trotz der Austreibungsversuche durch Walter Jens, der noch vom Tag zuvor auf dem Diskussionsplatz übriggeblieben war und gleich zu Anfang die düstere Fernsehgegenwart durch den archäologischen Blick eines frauen- und medienlosen Nachfahren im Jahre 2004 beschrieb: eine „Welt ohne Angestellten und Arbeiter“ und ganz ohne kritische Reflexion: „Fernsehen und Rundfunk sind unmittelbar zu Gott.“ Er war dann auch der einzige, der über ein „Gesetz zur Regelung des Privatfunks“, das „in Kürze“ (Regierungsstimme Alice Stöwer) ins Parlament eingebracht würde, oder jahrelang erkämpftes Vortragsrecht im Redakteursausschuß des SFB hinausdachte. Der alles umwälzen wollende Spätanarchist Jens denkt an eine Graue Pantherin als Ansagerin, an die Auffrischung von „Hamlet„ -Kulturstunden durch Unterbrecherwerbung (z.B. SFB-4-trendy -Spots), an die Übervorteilung der Journalisten gegenüber Politikern, was Redezeit betrifft und zum unterhaltenden Sendeschluß an einen Rundumschlag des soeben Durchlittenen aus dem Mund eines scharfen unzensierten Kritikers. Doch was den Unterhaltungswert steigert, macht noch lange nicht ernst mit der Alternative. Eine Alternative jedenfalls, Radio 100, das als parteiunabhängiger, linker und kommerzieller Sender gestartet war, krankte an Unkenntlichkeit: Eine seiner Sendungen, die einst der DDR -Opposition Möglichkeit zur unkommentierten Eigendarstellung gegeben hatte, wurde vom DDR-Demokraten Weiß als wichtiges, aber ominöses Produkt eines kommerziellen Privatfunks „Radio Glasnost“ genannt - so hatte es die Nachrichtenagentur 'adn‘ nach Störsendermanöver kolportiert. Was weniger die Opposition diskreditiert als die Profil- und Lustlosigkeit medialer Alternativen in einem Meer von Ausgewogenheit und Kommerz beleuchtet.

Glücklicherweise kann man unter ost-west-vereinigenden Fragestellungen netter schwafeln. So gewann denn wenigstens der Vorschlag des SFB-Redakteurs Hans Hege, die Rundfunkgebühren von zehn auf achtunddreißig Mark zu erhöhen, um DDR-Funk und -Fernsehen zu erhalten, philosophische Tiefe: Finanzierung von Zeit.

Dorothee Hackenberg