Vorlauf: Attacke auf blaue Fahnen

■ Erscheinen Pflicht, DDR 1

(Erscheinen Pflicht, DDR 1, 20.05 Uhr) Es gibt Tage, an denen packt Dich das Leben beim Kragen und schüttelt Dich. Das geschieht Elisabeth früh - sie ist 16. Ihr widerfährt Tragisches und Verheißungsvolles; der Tod begegnet ihr, erste Liebe streift sie, Scham würgt sie, Angst schüttelt sie. Erscheinen Pflicht, ein DEFA-Film aus dem Jahre 1984, erzählt die Geschichte Elisabeths, die wohlbehütet in einer Kreisstadt der DDR aufwächst - ihr Vater ist Staatsfunktionär mit schwarzem Dienstwagen, einer der kleinen Privilegierten im Lande.

Mit dem Tod des Vaters gerät die heile Jungmädchenwelt aus den Fugen, Elisabeth stößt auf Widersprüche, betritt fremde Bereiche, beginnt Fragen zu stellen. Warum ist ihr Bruder von Zuhause fortgegangen, kommt nicht einmal zu Vaters Beerdigung? Warum beschimpft Steffan, in den sie heimlich verliebt ist, ihren toten Vater? Eine der erschütterndsten Begegnungen ist die mit Steffans Mutter. Sie war einmal Lehrerin, Direktorin einer Schule. Da verließ ihr Mann Familie und Land - das verkraftete sie nicht, begann zu trinken. Heute ist sie Putzfrau - ihr Leben ist zerstört. Wie schwer Steffan daran trägt und daß ihr Vater nicht geholfen hat, ist für das Mädchen eine schlimme Erkenntnis. Sie muß begreifen, daß es in dieser sozialistischen Welt Ungerechtigkeit, Egoismus und Karrieredenken gibt, von denen man ihr in Kindergarten und Schule, bei den Pionieren und der FDJ nichts erzählt hat.

Regisseur Helmut Dziuba, dessen Liebe und Talent dem Kinder - und Jugendfilm gehört (dies ist sein siebenter), vertritt die Auffassung, daß man auch in diesen Filmen sozialen und politischen Problemen nicht ausweichen darf. Damit paßte er nicht in die auf rosa tönernen Füßen stehende Welt von DDR -Volksbildung, Jugendverband und dem, was „sozialistischer Realismus“ genannt wurde. Erscheinen Pflicht wurde diffamiert und behindert.

Daß der Film erst sechs Jahre nach seiner Entstehung, erst nach der DDR-Wende auf den Bildschirm kommt, liegt auch an diesen Szenen: Elisabeth fährt mit ihren Schulkameraden zu einer Kundgebung nach Berlin. Blaue Hemden, blaue Fahnen. „Binden wir uns wieder mal 'nen Sonntag ans Bein... Erscheinen Pflicht! Alles freiwillig!“, nölen die Jungen. Auf dem Heinweg ist das Mädchen mit seiner Fahne allein in der S-Bahn und wird von einem angetrunkenen Arbeiter angepöbelt und handgreiflich angegriffen.

Erscheinen Pflicht bietet ehrliche Einblicke in die DDR vor der Wende und ist trotz gewandelter Situation aktuell und aufschlußreich. Empfehlenswert!

Maria M. Walther