„Das Unerträgliche erzählen“

■ Interview mit Klaus Emmerich, Regisseur von „Rote Erde“

Heute abend läuft in der ARD um 20.15 Uhr der zweite Teil von Klaus Emmerichs Ruhrpott-Epos Rote Erde II (s. taz vom 3.3.90). Wir sprachen mit dem Regiseur über seine Motive und Erfahrungen bei den Dreharbeiten.

taz: Die zweite Staffel von Rote Erde ist fertig wieder unter Ihrer Regie. Was reizt Sie an diesem bergmännischen Thema?

Klaus Emmerich: Das kann ich jetzt schon gar nicht mehr beantworten - da bin ich so reingewachsen über die erste Rote Erde, das ist meine zweite Heimat geworden. Insofern war es selbstverständlich, diese vier weiteren Folgen auch zu machen. Das war noch einmal ein Eintauchen in die Geschichte dieses komplizierten Landes. Konkret mit dem Bergmännischen bin ich verbunden, weil mein Urgroßvater Bergmann war. Das habe ich aber erst nach dem Abdrehen der zweiten Staffel überhaupt erfahren. Der entscheidende Grund für die Auswahl dieses Industriezweiges ist, daß hier wahnsinnig viel fokusiert sichtbar wird aus der Geschichte Deutschlands in den letzten hundert Jahren.

Hatten Sie denn Kontakte zu Bergleuten?

Ja, vor allem in der Vorbereitungsphase zur ersten Roten Erde. Da habe ich mich sehr umgetan, habe viele Kontakte geknüpft, mir in vielen Bergmannskneipen Geschichten und Legenden erzählen lassen.

Gab es Widerstände, Widersprüche, Schwierigkeiten bei den Vorbereitungsarbeiten für die Behandlung der Zeit des Nationalsozialismus?

Nein, genauso wichtig wie diese Zeit mir war, war sie auch dem Sender. Da gab es auch überhaupt keinen Widerspruch von seiten des WDR - im Gegenteil, der verantwortliche Redakteur Wolf-Dietrich Brücker war mit mir einer Meinung, daß die Geschichte nur weitererzählt werden kann, wenn man gerade der Zeit des Nationalsozialismus einen beträchtlichen Raum gibt.

Und bei der Stoffsammlung, beim Herangehen an bestimmte Stellen?

Auch nicht. Das liegt, glaube ich, auch an dem Ansatz, den wir gefunden haben und den Peter Stripp auf eine ganz tolle Weise im Drehbuch umgesetzt hat: Daß wir nämlich den Nationalsozialismus nicht abstrakt als politische Wertung von außen begreifen, sondern ihn sozusagen in die Familie hereinholen - und das Unerträgliche daran auch erzählen. Aus diesem Grund haben wir auch etwas sehr Riskantes gemacht: Nämlich den Hauptprotagonisten, den Max Kruska, der eigentlich auch Sympathieträger ist, haben wir Nazi werden lassen. Das ist eine sehr harte Angelegenheit gewesen, wie er das wird, und wie er später den Versuch macht, es wieder loszuwerden. Ich bin sehr neugierig, wie die Leute darauf reagieren werden. Das ist ja nicht alltäglich: Normalerweise sind in Filmen ja immer die Nazis die Feindfiguren.

Gab es Empfindlichkeiten beim Thema Zechensterben in den fünfziger Jahren?

Nein, überhaupt nicht. Es gab nur zu wenig Geld. Das Zechensterben hätte ich lieber mit einer eigenen Folge behandelt, aber dazu kam es nicht mehr. Jetzt bildet das Zechensterben das Ende der vierten Folge und ist im Grunde genommen fast so eine Art Ausblick auf die weiteren fünfziger Jahre. Wirklich inhaltlich wird dieses Thema nicht mehr bearbeitet.

Was sind die wichtigsten persönlichen Erfahrungen, die Sie bei den Dreharbeiten, bei der Aufarbeitung dieses geschichtlichen Stoffes gemacht haben?

Für mich persönlich war beeindruckend, mich so stark mit den Gegebenheiten meiner Elterngeneration in der Nazizeit auseinanderzusetzen. Manches, was ich meinem Vater bisher nicht verzeihen konnte, sehe ich jetzt in einem differenzierten Licht. Ich habe gelernt, wie schwer das war, sich in dieser Zeit zu einer Haltung durchzuringen, die selbstgefährdend, kämpferisch, antinazistisch war.

Und das zweite, was vielleicht noch spannender ist: Ich habe festgestellt, daß es ein ziemlich schmerzhafter Vorgang ist, eine Figur aus dieser Zeit noch einmal sehr nah an sich heranzuholen. Da gibt es wirklich aufwühlende Szenen, die uns ein bißchen haben ahnen lassen, wie in der Zeit die konkrete, emotionale, psychische Wirklichkeit der Menschen ausgesehen hat.

Kommt eine dritte Staffel von Rote Erde?

Die wäre möglich, ist aber nicht mehr geplant. Ich glaube, die Rote Erde ist auf eine gute Weise zu Ende erzählt. Jetzt müßte man einen neuen Ansatz finden und sich damit beschäftigen, wie ein ganzer Industriezweig so langsam durch neue Technologien, durch andere Formen der Energiegewinnung zugrunde geht. Das kann man aber genauso gut an anderen Industriezweigen darstellen - da wäre Rheinhausen wahrscheinlich das geeignetere Thema.Interview: Manfred Kellner