No Future in Island

■ Poetischer Amokthriller „Weiße Wale“, 23.15 Uhr, ZDF

Majestätisch langsam durchstößt der Wal in Zeitlupe die Wasseroberfläche, erhebt sich zu seiner vollen Größe, um sich genußvoll auf einen Wellenkamm platschen zu lassen. Zuletztmarkiert nur noch die kräuselnde Wasseroberfläche den Ort dieser arktischen Turnübung. Aus dem legendenumrankten, literarisch verklärten Beruf des Walfängers ist im Island von heute ein durch Technifizierung entfremdeter, von Tierschützern verfemter Außenseiterjob geworden. Wie Vietnamheimkehrer in Amerika tappen die beiden Walfänger Grimur und Bubbi nach der letzten Fangfahrt der Saison durch das nächtliche Reykjavik. Ihre letzte Heuer, für die der analphabetische Bubbi mit einem gemalten Wal unterzeichnete, bringen sie in einer einzigen Nacht durch. Ihren Matrosendurst können sie in den mittlerweile vornehm und „anständig“ gewordenen Kneipen jedoch nicht mehr löschen. In einem kahlen Billardsalon wartet Bubbi wie ein melancholischer Obelix auf seinen Freund und wird von einem Zocker wegen seines Berufs höhnisch auf die Schippe genommen: „Du kannst mich Ismael nennen.“

Von seiner Frau mit Schimpf und Schande vor die Tür gesetzt, von einer launischen Trinkerin an die Polizei ausgeliefert und in derselben Nacht wieder auf freien Fuß gesetzt, klaut Grimur ein vor der Polizeistation geparktes Auto und rammt, mit Bubbi auf den Beifahrersitz, die Schaufensterscheibe eines Waffengeschäfts. Das aus tragikomischer Distanz gefilmte und mit abgedrehten Country -Soundtracks unterlegte Sozialdrama entwickelt sich zum poetischen Amokthriller, der augenzwinkernd amerikanische Vorbilder zitiert: Wer wie die beiden sozial abgestorbenen Walfänger tatsächlich nur Schaufensterpuppen zerschießt, wird im Gegensatz zu Rambo und Schwarzenegger von herbeigerufenen Militärs aufgerieben und bei weitem nicht so heroisch wie in der berühmten Schlußszene von Butch Cassidy & Sundance Kid präzise gemeuchelt. Einfacher: Es geht tierisch ab.

Im 240.000 Seelen zählenden Island gibt es prozentual einen recht hohen Anteil von Filmemachern, deren jüngere Generation erst in den letzten zehn Jahren unter dem bereits etablierten angloamerikanischen Einfluß zu drehen begann. Fridriksson, der beim Aufbau einer eigenständigen isländischen Filmproduktion eine wichtige Rolle spielte, gründete 1974 den ersten isländischen Filmclub sowie die erste und bislang einzige Filmzeitschrift des Landes. In seiner teilweise auf authentischen Ereignissen basierenden Parabel Weiße Wale , zugleich sein Spielfilmdebüt aus dem Jahre 1987, gleichen Grimur und Bubbi jenen Albinowalen, die wegen ihrer weißen Farbe von ihren Artgenossen ausgeschlossen, mitunter sogar getötet werden...

Manfred Riepe