Nie wieder Sozialismus?-betr.: Diepgen

Also, Herr Diepgen, mit Verlaub, vielleicht doch nicht ganz so gewaltig tätig staatsmännisch, bitte. Ihre Träume, vielleicht der erste Großberliner Bürgermeister der Nachkriegszeit zu werden oder als subventionierende West -Friedenstaube in die Geschichte einzugehen, in Ehren. Aber ehrlich gesagt, wenn ich davon im 'Tagesspiegel‘ lesen würde, das wäre durchaus genug. Jetzt aber lese ich am Sonntagmorgen fern von Ihrem ehemaligen Amtssitz in den Spalten der 'New York Times‘ von Ihren Aktivitäten rund um die Mauer herum, von Ihren Verheißungen und Wahlhilfen zugunsten der ostdeutschen CDU, und ich finde das, mit Verlaub, Herr Rechtsanwalt, reichlich übertrieben.

„Nie wieder Sozialismus“, schreiben die Amerikaner, hätten Sie botschaftig verkündet, schnell ein paar Mark für werbende Ballons und allerlei Kram für die Jünger im Ostteil der heiligen Allianz, die gar nie nicht wendig waren, lockergemacht. Ja, man springt in die Bresche fürs leidende Volk, fürs unwissende, und wenn schon nicht als Regierender, dann als regieführender Messias.

Hätten Sie Paraphenalia drucken lassen, die etwa die Vorsilbe „National“ vor dem Schimpfwort „Sozialismus“ getragen hätten und davor den langen, knochigen Zeigefinger gesetzt, jeder, mit Ausnahme von ein paar schönen Huberköpfen, wäre damit einverstanden gewesen. Hätten Sie auf die bunten Plastiktüten einen Slogan drucken lassen, wie „Nieder mit der SPD, den verdammten Profitvereitlern, Hurensöhnen, Aidspack... ein Volk, ein Gewinn, ein Regierender!“, jeder hätte das als ehrlich verstanden und wünschen können, Sie hätten sich am Brandenburger Tor zwischen Ost und West als Mahnmal und Bollwerk zugleich einzementieren lassen.

Wollten Sie die Tradition des Jesus von Nazareth (Nieder mit den Pharisäern), des Danton (Nieder mit dem König) fortsetzen, oder wollten Sie an die schweigende Mahnung von Auschwitz anknüpfen: „Nie wieder“? Ausgerechnet „Nie wieder Sozialismus“. Das sollen die ja hören wollen, drüben, diese Wortverknüpfung, heißt es.

Wie bitte, Herr Rechtsanwalt, stellen Sie sich Ihr Großberlin ohne das Wort „Sozialismus“ und ohne das Adjektiv „sozial“, wenn das in den oppositionellen Betonköpfen aus Mangel an Verständnis und Pfründen sowieso automatisch mit „Feindschaft“ und „feindlich“ übersetzt wird, vor?

Sie können ja, nach wiedergewonnenen Amtsehren, ein paar Gettos nach dem New Yorker Vorbild schaffen. Eins für die Türken, wenn sie noch nicht abgeschoben sind, das haben wir ja. Eins für die Polen, denn die mögen ja unsere östlich gelegenen Heimgeholten nicht. Eins für die Unbelehrbaren, die die Botschaft der Geschichte immer noch nicht verstanden haben und hartnäckig an rudimentären Floskeln wie „soziale Gerechtigkeit“ oder ähnlichem Nonsens festhalten wollen. Und eins für den ganzen menschlichen Müll, der - wie beispielsweise hier, bei Ihren Vorbildern, die Ihnen leider historisch zuvorgekommen waren, als ihr Leithammel so etwas ähnliches wie „Nie wieder Liberalismus geschrien hatte doch sonst nur die Straßen verschmutzen und verschmieren würde und uns mit seinem dauernden, larmoyanten Gewäsch wie „Some change please, Sir“ entsetzlich auf die Nerven gehen würde. Das mit den Gettos funktioniert noch ganz gut, da gibt's noch kein „Nie wieder!“

Jetzt haben wir den Salat. Verständlich der Unmut über den Karriereknick, wenn ausgerechnet ein feindlich demokratischer Regierender als Ost-West-Händeschüttelnder in die Weltpresse einging und kein amerikanischer Journalist Sie nach Ihrer Meinung gefragt hat. Jetzt haben Sie es wieder geschafft, die Amerikaner haben in den Medien ihren neuen, alten Mann in Berlin gefunden. Den Botschafter der postmäuerlichen Ära mit Bärenmark und 99 Luftballons. Weia! Mit Verlaub,

Helmut Kuhn, New York