Guter Lehrmeister für DDR-Gewerkschaften?

FDGB tut sich schwer bei der Suche nach demokratischen Strukturen / Eine bloße Kopie des großen Bruders DGB kann keine Lösung sein Der Wahlmodus bei den West-Gewerkschaften ist für viele undurchschaubar / Eine Delegiertenwahl „von unten“ ist Utopie  ■  Von Gabriele Sterkel

Berlin (taz) - „Wir müssen die alten Strukturen, den alten Machtapparat rigoros zerschlagen“, so heißt seit einigen Monaten die Devise nicht nur der Gewerkschaftsbasis, sondern auch von manchem neuem Gewerkschaftsfunktionär in der DDR. Man will die Organisation von Grund auf erneuern, „von unten nach oben“ soll der Willensbildungsprozeß laufen. Stellt sich die Frage, ob die Gewerkschafter in der DDR gut beraten sind, wenn sie bei ihrem Umbau immer wieder hilfesuchend über den Zaun nach Westen blicken.

Der außerordentliche FDGB-Kongreß im vergangenen Monat scheiterte fast daran, daß die meisten der von der Basis gewählten Delegierten nicht akzeptieren wollten, daß ungefähr zehn Prozent der stimmberechtigten Delegierten nicht demokratisch von unten gewählt, sondern von Bezirks und Kreisvorständen berufen worden waren. Die neuen GewerkschafterInnen in der DDR nehmen es also ernst mit der Demokratie.

Grund genug zu fragen, wie denn in der Bundesrepublik die Delegierten gewählt werden, zum Beispiel zum Bundeskongreß des DGB, der im Mai dieses Jahres stattfinden wird? Diese Frage konnte von manchem West-Gewerkschaftsfunktionär nur mit Achselzucken beantwortet werden: „Weiß ich nicht“, „bin ich überfragt“, „muß ich mich erst mal kundig machen, ich rufe zurück“, waren zunächst die überwiegenden Antworten. Hartnäckige Erkundigungen brachten dann schließlich folgendes Ergebnis ans Licht: Die Delegierten zum Bundeskongreß werden von den Einzelgewerkschaften „nach demokratischen Grundsätzen“ gewählt, steht in der DGB -Satzung. Wer allerdings glaubt, sich nun in den Satzungen der Einzelgewerkschaften kundig machen zu können, hat sich getäuscht. In keiner dieser Satzungen ist der fragliche Wahlmodus enthalten. Lediglich lange Jahre zurückliegende Beschlüsse liegen da zugrunde. Über die geforderten „demokratische Grundsätze“ haben die Einzelgewerkschaften jedoch sehr unterschiedliche Auffassungen.

Eindeutig am demokratischsten scheint es dabei noch bei der IG Metall zuzugehen: Hier werden diese Delegierten in der „Vertreterversammlung“, das heißt auf örtlicher Ebene gewählt. Der mittleren Ebene hat diese Wahl allein die Gewerkschaft Nahrung, Genuß, Gaststätten (NGG) überlassen, und zwar der Landesdelegiertenkonferenz. Der große Rest aller Einzelgewerkschaften „wählt“ die Delegierten zum Bundeskongreß des DGB auf zentraler Ebene: Die Postgewerkschaft tut dies auf dem Gewerkschaftstag, die anderen entweder im „Beirat“, dem „höchsten beschlußfassenden Organ zwischen den Gewerkschaftstagen“ (IG Chemie, HBV, Gewerkschaft der Eisenbahner), oder aber die Entscheidung über die Delegierten bleibt direkt dem Vorstand überlassen, wie etwa bei der IG Medien (und allen übrigen Gewerkschaften). Das Gremium, das solchermaßen zustande kommt, besteht schließlich aus 525 stimmberechtigten Delegierten und 149 Delegierten mit „Mitspracherecht (darunter die Vorsitzenden der Einzelgewerkschaften). Von den Stimmberechtigten sind im allgemeinen, so die Pressestelle des DGB, 50 bis 60 Prozent hauptamtliche Funktionäre. Zu allem Überfluß nennt sich diese Veranstaltung großspurig „Parlament der Arbeit“.