Vor- oder Nachhut der Eurolinken?

■ Italiens KP beginnt ihren „Wendekongreß“ / Aus Bologna Werner Raith

Direkt nach dem Fall der Mauer schreckte Achille Occhetto, Chef der italienischen Kommunisten, seine Klientel mit dem Vorschlag auf, die PCI völlig neu zu gestalten und mit linken Gruppen zusammenzuarbeiten. Von heute bis Samstag diskutieren 1.100 Delegierte Occhettos Ansinnen auf einem außerordentlichen Parteitag in Bologna.

Der Tagungsort Bologna ist nicht zufällig gewählt: Hier, in der „rotesten“ Region Italiens, wo einst die Musterkommunalverwaltung der PCI entstand und die Welt erstaunt auf die Regierungsfähigkeit demokratischer Kommunisten blickte, soll sich die Wende der italienischen Kommunisten vollziehen.

Achille Occhetto (54), seit eineinhalb Jahren Vorsitzender der größten westlichen KP, will ganz hoch hinaus: nicht nur eine Reform der eigenen Partei wünscht er, nicht nur die Änderung des Namens - das „c“ für „comunista“ soll weg eine völlige „Neukonstitution der Linken“ soll es werden. Ein Sammelbecken für alle, die endlich die alten Regierungsparteien - speziell die seit mehr als 40 Jahren dominierende Democrazia Cristiana (DC) - weghaben wollen, aber auch für Intellektuelle aller Schattierungen, die den vom Sozialistenchef Bettino Craxi zusammen mit dem DC -Sekretär Arnaldo Forlani und Ministerpräsident Giulio Andreotti angesteuerten staatlichen Autoritarismus fürchten. Auch die erstarkenden Grünen, die Radikalen und die für Drogenfreigabe kämpfenden Antiprohibitionisten sollen mitmachen.

Occhettos bisherige Verlautbarungen lesen sich denn auch wie ein Tutti-frutti-Angebot, für Grüne ebenso etwas wie für die Industrie, für Nato-Fans ebenso wie für Neutralisten, für Machos und für Feministinnen, für Abtreibungsgegner und deren Gegner dieselben Streicheleinheiten.

Die Idee zur „großen Wende“ war dem PCI-Chef just hier gekommen, als er nach dem Fall der Berliner Mauer einsam dasaß und nachdachte. Noch am gleichen Abend war er zu einer Versammlung ehemaliger Partisanen geladen: Da hatte er den Gedanken gleich probelaufen lassen und war dann nicht mehr zu stoppen. Form und Geschwindigkeit seines Wendemanövers waren es freilich auch, die seinem Vorhaben einen breiteren Dissens verschafft haben, als er erwartet hatte: Viele alte PCI-Kämpfer, wie Giancarlo Pajetta vom rechten, Pietro Ingrao vom linken Flügel, Alt-Stalinist Armando Cossutta und Occhetto-Vorgänger Alessandro Natta, verübeln ihm, daß er sie vor seinen öffentlichen Sprüchen nicht wenigstens konsultiert hatte.

Doch die Ablehnung eines Gutteils der PCI-Aktiven hat nicht nur etwas mit Animositäten gegenüber einsamen Beschlüssen zu tun. Das zeigte sich bei den mehr als hundert Regional- und Provinzkongressen, die Occhetto einberufen ließ, um die Wende-Frage „in demokratischer Mitbestimmung und rein von der Basis her“ zu behandeln.

Da empörten sich nicht nur die Gefolgsleute Ingraos oder Pajettas, sondern auch zahlreiche Partei-Intellektuelle wie der Kunsthistoriker Albert Asor Rosa, Herausgeber der Zeitschrift 'Rinascita‘, über Occhettos „inhaltsleeres Zickzack„; da überlegten die erst kürzlich wieder in PCI -Nähe zurückgekehrte Linksabweichler wie 'il manifesto' -Mitherausgeber Luigi Pintor oder die Abgeordnete Luciana Castellina, ob es „wirklich wert war, sich mit denen zu versöhnen“.

Auch ein Großteil der Parteijugend äußerte sich skeptisch sie will mehr Aktion, mehr Bewegung auch auf der Straße, als Occhetto mit seinem „staatstragenden, vor allem auf Mauscheleien zielenden Puddingkurs zugesteht“ (so ein Sprecher der Parteijugend FCGI in Trient).

Empörung und Unsicherheit vor allem unter den PCI-Frauen (siehe das Dokument nebenan), die sich trotz Quotierungs -Beschlusses auf dem letzten Parteitag noch immer nicht ernst genommen fühlen und vor allem eine „grundlegend andere Politik“ wünschen.

Mehrere hundert landesweit bekannte Persönlichkeiten, wie der Schauspieler Gian Maria Volonte oder der Kunsthistoriker und ehemalige Bürgermeister Roms, Giulio Carlo Argan, hielten Kongresse zugunsten eines klaren „Nein“ zur Wende ab. „Ich gehöre zu denen, die den Kommunismus wollen“, rief 'il manifesto'-Mitherausgeberin Rossana Rossanda unter großem Applaus bei der ersten Großveranstaltung in Rom, „und ich sehe keinen Grund, mich des Wortes comunista zu schämen.“

Auf der anderen Seite setzten die Occhetto-Fans auf eine Art „schweigende Mehrheit“, gründeten eine Reihe von „Clubs für das 'Ja'“ und hielten Versammlungen der „versunkenen Linken“ ab. Hauptschreier - im Wortsinne - der Wende -Propheten ist der Philosoph Massimo Cacciari, 50, der gerne Bürgermeister von Venedig werden möchte und gegen alle losholzt, die der alten PCI auch nur ein gutes Haar lassen: „Wenn unsere Partei jemals an die Regierung gekommen wäre, hätte sie dieselben Verbrechen begangen wie die Regimes im Osten.“ Da fiel es Pietro Ingrao nicht schwer nachzuweisen, daß „der Mann wohl nie die Geschichte des PCI durchgeblättert hat“. (Siehe auch die Rede Ingraos nebenan.)

So zerstritten wollen die PCI-Matadoren nun in Bologna einen Weg suchen, um auch nach der Wende - die sich angesichts der gut 60 Prozent Zustimmung in den Provinzgliederungen wohl nicht mehr aufhalten läßt wenigstens noch „unter einem Dach weiterzuleben und miteinander Wege für die Zukunft suchen“, wie es der Chefredakteur der Parteizeitung 'l'Unita‘, Massimo D'Alema, ausdrückt. D'Alema, 40, ist derzeit der einzige in der Partei-Spitze, der der Zerreißprobe der PCI Positives abgewinnen kann: Nicht nur daß er sich immer mehr zum Vermittler zwischen den Fronten entwickelt und sich damit für eine mögliche Nachfolge Occhettos profiliert - die Auflage seines sonst bei ca. 150.000 Auflage dümpelndes Blattes hat sich im Gefolge der Auseinandersetzung fast verdoppelt.

Und da stimmt er mit den „Nein-Sagern“ von 'il manifesto‘ überein: Auch dort hat die Auflage, sonst bei 35.000, einen ungeahnten Höhenflug angetreten, auf mittlerweile fast 80.000.

Werner Raith