Vom Menschenrecht auf Ungeduld

■ SPD-Unterbezirk Ost und versuchte Meinungsbildung zur Wiedervereinigung

„Beschlußfähig sind wir in jedem Fall nicht“, stellte Horst Isola gleich zu Beginn mit Blick über seinen Brillenrand und in die fast leeren Stuhlreihen im Unihörsaal fest. „Deutschlandpolitik“ war angesagt - und noch keine Hundertschaft Bremer SozialdemokratInnen war dem Ruf gefolgt. Und dabei sprang das Wort „DEUTSCHLANDPOLITIK“ auf der Einladung an die lieben Genossinnen und Genossen in Großbuchstaben unübersehbar fett ins Auge. Ausdrücklich hatte Organisator Stolle die Delegierten des UB-Ost auch darauf hingewiesen, daß „auf Wunsch der Ortsvereinsvorsitzendenkonferenzder verschobene Parteitag zur Deutschlandpolitik „nun doch vor den Volkskammerwahlen in der DDR“ stattfinden soll. Mitte Februar sollte die Deutschland-Debatte ursprünglich bereits stattfinden - war dann aber kurzfristig „ausgefallen“.

Vier Anträge lagen zur Debatte am Dienstag schließlich vor

-wenn auch nur kurzfristig am Eingang zum Sitzungssaal. Darunrin Positnspapier zurldi oVHorn-Achterdiek, resp. Horst Isola) und sechs Thesen zur deutschen Einheit von Detlev Griesche: Beide zigmal ergänzt und verändert.

Den ersten Beifall des recht de-motivierten Delegierten -Treffens konnte dann auch gleich Griesche auf sich verbuchen, als er meinte: „Wir können beschließen, was wir wollen - morgen, spätestens übermorgen ist sowieso alles anders.“ UB-Ost-Vorsitzender Armin Stolle erntete dagegen alles andere als Beifall, als er „alles, was bisher gelaufen ist,“ als „Lügerei“ geißelte, als eine „taktische Diskussion, ohne zu gucken, worum es geht.“ Wir seien mitbetroffen und sollten deshalb nachdenken, was z.B. Grundsicherungen bedeuten und was über die Zeit zu retten sei, forderte Stolle. „Ich habe nicht den Eindruck, daß wir ehrlich den Zusammenschluß zweier Staaten wollen“, meinte er. „Wir wollen doch nur 16 Millionen Menschen mitsamt ihrem Territorium übernehmen.“ Am besten führe man dann mit dem Bulldozer durch („Weil sich dort drüben ja eh nix entwickelt hat“) und mache „alles neu.“ Daß er sich dafür schämt, daß die eigentlichen Wegbereiter (für den Sozialismus) jetzt vergessen und in zweifelhaften Zusammenschlüssen nur noch „Wirtschaftlichen-Anschluß-Willige“ hoffiert würden dagegen wehrte Stolle sich vehement.

Doch dies schien bei den GenossInnen trotz sarkastisacher Untertöne falsch angekommen: „Ich finde es unglaublich und lächerlich, wie hier die Diskussion geführt wird“ glaubte Marlis Grotheer-Hünecke vom Tisch des Präsidiums aus eingreifen zu müssen (was wiederum später selbstverständlich kritisiert wurde). Gisela Fröhlich belehrte Stolle, daß er so nicht reden könne, wenn er jahrelang private DDR-Kontakte gepflegt hätte.

Bürgerschaftspräsident Dieter Klink blickte bewundernd auf die Euphorie der DDRlerInnen: „Wir als Partei brauchen diese Begeisterung, die wir mit unserer Sattheit und Bequemlichkeit nie hinkriegen.“ Die Menschen in der DDR nähmen „das Menschenrecht auf Ungeduld“ in Anspruch und „wir müssen uns mit der Vernunft des Augenmaßes dieser Ungeduld stellen.“ In der nicht beschlußfähigen Meinungsbildung fanden sich die GenossInnen jedoch mit dem Berliner Programm weitestgehend „auf dem richtigen Weg“, obwohl Stolle wieder warnte: „Wir lAssen sie mit ihren Wünschen in unsere offenen Messer laufen“: Selbstkritik am eigenen System werde kaum vermittelt. Dafür aber ein Wahl-ABC in 120.000 Stck. Auflage, damit die RostockerInnen wenigstens die Spielregeln fürs Wählen lernen.

raU-Satz:!!!!