Die CDU - und Oma Schulzes Häuschen

■ Wahlkampf im Rathaus Schöneberg: Die Allianz für Berlin präsentierte unter West-CDU-Aufsicht ihre Ideen zur künftigen Wirtschafts- und Sozialpolitik

Nach Stadtplanung, Umweltschutz und Kultur jetzt auch Wirtschaft und Soziales: der gemeinsame Arbeitsausschuß der „Allianz für Berlin“ (bestehend aus Ost-und Westberliner CDU, DA und DSU) präsentierte gestern im Rathaus Schöneberg unter Federführung von West-CDUler Volker Hassemer seine Vorstellungen zur Wirtschafts- und Sozialpolitik. Es war wie immer bei gemeinsamen Veranstaltungen der Allianz: Frau Bergmann-Pohl aus dem Landesvorstand der Ostberliner CDU, Herr Apelt, Landesvorsitzender des Demokratischen Aufbruchs und Herr Sabottka von der DSU taten ihr Bestes, um einen recht staatsmännischen Eindruck zu erwecken, aber wie schwer haben sie es damit. Wie bei ähnlichen Zusammenkünften wanden sich nach kurzer Zeit die westlichen Brüder offensichtlich und fühlten sich bemüßigt, immer wieder einzugreifen und Sachverhalte richtigzustellen.

Neben den bekannten Vorstellungen der Allianz zur Übernahme der sozialen Marktwirtschaft und der Stärkung des Mittelstandes interessierte die Journalisten im Schöneberger Rathaus vor allem eines: Was passiert, wenn westliche Grundstücks- oder Hausbesitzer ihre Ansprüche an Grundstücken oder anderem Besitz in der DDR anmelden, die sie durch Flucht oder Enteignung bisher nicht geltend machen konnten? Also: Was passiert, wenn Oma Schulze in Marzahn eine Laube besaß, diese aber seit vierzig Jahren nicht nutzen konnte, den Enkelkindern Schulze aber jetzt einfällt, daß es da doch noch etwas gab... Oder: Welche Rechte hat ein Grundstücksbesitzer am Müggelsee, der von der SED enteignet worden ist und auf dessen Grundstück heute ein Stasi-Beamter residiert oder ein FDGB-Erholungszentrum gebaut wurde? Die Allianz tritt für einen umfassenden Mieterschutz und für den Schutz von „gutgläubigen Erwerbern von Grundstücken und Häusern“ ein. „Niemand muß befürchten, seine Wohnung bzw. sein Pachtland verlassen zu müssen“ heißt es dort, und: „Die Mieterhöhungen streng begrenzen: die Mieten müssen bezahlbar bleiben“. Oder, wie Hassemer umschrieb: „Es wird ohne eine Mietpreisbindung für eine gewisse Zeit nicht gehen“. (Hier erinnert sich die taz-Reporterin dunkel, daß es doch diese Partei war, die die Mietpreisbindung in West-Berlin abgeschafft hatte...)

Viele ehemaligen Staatsdiener oder Stasi-Mitarbeiter hätten sich unrechtmäßig durch gegenseitiges Zuschanzen Grundstücke und Häuser verschafft, und die sollen nach Vorstellung der Allianz für Berlin enteignet werden. Das juristische Kriterium solle sein, ob jemand gutgläubig oder nicht zu seinen vier Wänden gekommen ist. Sabottka führt aus, daß eine Schiedskommission gebildet werden solle, die bei jedem Einzelfall die Rechtsansprüche überprüft. „Wie Sie ja wissen, leben wir heute in Anarchie in der DDR“, begründet er weiter. Alle hartnäckigen Nachfragen, wie denn Gutgläubigkeit justiziabel werden soll, führen zu keiner konkreten Auskunft. „Wir haben den Begriff mit Bedacht gewählt“, leistet Hassemer noch einmal Schützenhilfe; er gehe davon aus, daß es auf Jahre hinaus in der DDR keine Eigenbedarfsklagen geben werde. Anders bei Flucht und Vertreibung der ursprünglichen Besitzer, dann müsse über Entschädigung verhandelt werden. „Wenn ich mich 40 Jahre nicht um meinen Besitz gekümmert habe, kann ich doch jetzt nicht plötzlich Rechtsansprüche stellen!“ umschreibt Sabottka die Ängste der DDR-Bürger - und löst damit einen Sturm der Entrüstung unter den West-Journalisten aus.

Kordula Doerfler