Lambada-Fete statt Ball der Pioniere

■ Südost-Berlin kennenlernen: Ein Besuch in der Köpenicker Wuhlheide im ehemaligen Pionierpalast „Ernst Thälmann“

In der Wuhlheide, im Ostberliner Bezirk Köpenick, findet der interessierte Besucher den „Pionierpark“ mit Pioniereisenbahn - und vor allem Margot Honeckers einstmaliges Hätschelprojekt, den Pionierpalast. Der Prunkbau hat eine lange „Pioniertradition“: 1959 fand in Berlin ein Pfingsttreffen der Jugend statt, und die Wuhlheide wurde kurzfristig zu einem Zeltlager für 20.000 Kinder der in der DDR gegründeten Pionierorganisation umfunktioniert. Im Verlauf des folgenden Jahres wurden dann 120 Hektar zu einer „Pionierrepublik“ ausgebaut.

1979, zum 30. Geburtstag der Republik, hatte man auch die Hauptattraktion, den neuen Pionierpalast fertig gebaut. Erstaunlicherweise bewies man bei der Konzeption sehr viel Einfühlungsvermögen und zeigte Respekt vor der Umgebung. Obwohl der ganze Bau von der Grundfläche her gigantisch groß ist, ragt er nicht über die natürliche Höhe der Baumwipfel. Zum Komplex gehören Schwimm- und Sporthalle, Kultursäle, ein Foyer mit wechselnden Ausstellungen, gastronomische Einrichtungen und zahllose Räume für rund 200 unterschiedliche Arbeitsgemeinschaften. Von „Junge Buchbinder“ bis „Junge Kosmonauten“ können hier Kinder alles werden und machen.

17 Millionen Mark verschlingt dieses Kinderparadies dann allerdings auch jährlich. Kein Problem bislang - denn bis zur Wende war der Pionierpalast Frau Honeckers Ministerium für Volksbildung direkt unterstellt. Man lebte wie unter einer Glasglocke, denn für „ihren Pionierpalast“ hatte Margot immer genug Geld parat aus dem sonst, für andere, kleinere Pionierhäuser, gar nicht so großzügigen Staatssäckel. Dafür hatte der Pionierpalast natürlich auch seine Pflichten - die politisch-ideologische Erziehung für Kinder sollte selbstverständlich gerade hier das A und O jeglicher Arbeit sein. Es gab sogar eine Extra-Abteilung „Orgleben“, die sich um sämtliche Belange des Pionierlebens im Palast zu kümmern hatte. Daß der Palast dennoch keine rein monumentale Belehrungsanstalt einer doktrinären Volksbildung wurde, zeugt von der bewundernswerten Fähigkeit vieler Mitarbeiter, mit Geschick den Zwang moralischer Erziehung von den Kindern fernzuhalten und mit ihnen daneben produktiv zu arbeiten - und zwar so, daß es den Jugendlichen auch noch Spaß machte.

Jetzt - unter neuen Bedingungen - eröffnet sich den Mitarbeitern, die vorher schon nach mehr Raum für Spiel, Experimente und Phantasie bei der Arbeit mit den Kindern verlangten, völlig neue Möglichkeiten. Der Wechsel dürfte für Leute mit Standfestigkeit kaum beängstigend sein - falls der Palast als soziale Kindereinrichtung erhalten bleibt. Die Mitarbeiter forderten eine dahingehende Zusage bereits mittels einer Unterschriftensammlungt. Doch auch hier gilt der 18. März als Grenzmarkierung jeglicher Zukunftsplanung.

Kasernenhofdenken wie den einer „Orgabteilung“ soll natürlich für endgültig aus dem Hause verbannt werden und so hat man schon mal mit einigen Namensänderungen angefangen. Da das Haus in Zukunft allen Kindern und Jugendlichen, ja sogar Erwachsenen offen stehen soll, heißt es inzwischen schon nicht mehr Pionierpalast, sondern „FEZ in der Wuhlheide“ (Freizeit- und Erholungszentrum). Eigeninitiative ist gefragt, und der Wechsel vom Ministerium für Volksbildung zum Magistrat geht mit tiefgreifenden Strukturveränderungen einher.

Projektgruppen sind geplant, die relativ selbständig und mit teilweiser Selbstfinanzierung arbeiten sollen. Dazu gehört auch die eigenverantwortliche Zusammenarbeit mit nationalen und internationalen Partnern. Im Gespräch befindet man sich zum Beispiel bereits mit dem „Atrium„ -Jugendzentrum in West-Berlin. Die ganze Einrichtung soll in Zukunft viel intensiver genutzt werden, und um den Publikumsverkehr anzukurbeln, heißt der ehemalige FDJ-Ball nun Lambada-Fete. Außerdem locken TV-Spiele die Kinder zu den sonst schwach besuchten Ausstellungen in den zahlreichen Gängen. Aber vor allem die Öffnungszeiten haben sich geändert: wochentags von 9 bis 21 Uhr, am Wochenende bis 17 Uhr. Also - hinfahren und anschauen!

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