Der Mörder ist diesmal der Nachbar

■ Bezirksamt Spandau fahndet nach dem Krähenkiller von Haselhorst / Das Motto des Killers: Lieber Boinglärm als Krähengekrächze...

Vorn keucht das Kraftwerk Reuter vor sich hin, pumpt weißen Dampf in den aschfahlen Himmel. Über den Asphalt poltern LKW's, die Nachschub in die Industriewüste bringen und auf dem Sackbahnhof lagert die Reichsbahn Chemie. Mal stinkt es von Süden, wo das Klärwerk steht, mal riecht es von Osten: da ist das Krematorium.

Über die Dächer der Spandauer Wohnkolonie dröhnen Flieger nach Tegel, denn Haselhorst liegt in der Einflugschneise. In den Wipfeln haushoher Robinien hocken dort seit Wochen schwarzgefiederte Vögel, gut einen halben Meter lang, und machen durchaus Krach. Ein paar Meter von Neubausiedlungen entfernt basteln sie Nester und machen mit ihren Flügeln viel Wind. Die Viecher werden Saatkrähen genannt und stehen auf der roten Liste - soll heißen: Es sind nicht mehr besonders viele da. Als sie sich vor drei Jahren die Gartenfelder Straße als Brutplatz ausgesucht haben, hat das nicht alle Anwohner gefreut. Empörte Bürger schrieben Briefe an das Bezirksamt, und forderten die Beamten auf, die Brutstätten zu kappen. Die lehnten das ab. Jetzt griff ein Unbekannter offensichtlich zur Selbsthilfe: Neben ausgestreutem Vogelfutter lagen vierzehn Krähen, die nie wieder Lärm machen werden. Im Bezirksamt wird geschätzt, daß die Zahl der Opfer noch höher liegt, weil „die Tiere ja auch woanders verendet sein können.“

Damit die rund 200 Berliner Saatkrähen nicht mit einem ähnlichen Schicksal rechnen müssen, hat das Bezirksamt jetzt eine „Fahndungsaktion“ nach den Giftmischern eingeleitet. Bei der Polizei wurde Anzeige erstattet, die Bevölkerung „um Mithilfe bei der Aufklärung“ des Sachverhalts gebeten. Bis zu Hunderttausend Mark müßte der anonyme Krähenkiller berappen, würde er geschnappt. Und weil der Mörder in diesem Fall der Nachbar sein kann, „werden die Hinweise streng vertraulich behandelt“.

Die krächzenden Vögel werden schon lange zu Unrecht verfolgt. Nicht mal der Name stimmt: An der Saat waren Saatkrähen nie interessiert. Sie fliegen auf Engerlinge und anderes Gewürm. In Berlin interessieren sie sich offensichtlich für Gegenden mit morbidem Charme. Nicht nur in der toten Hose Haselhorst, auch auf dem Gelände nahe dem Reichstag, wo das Historische Museum geplant ist, lassen sie sich nieder.

Ihren Ärger über Dreck und Lärm ließen Berliner immer wieder mal an Tieren aus. Es sei nur an den Kaninchenkiller aus Tiergarten erinnert, der im letzten Jahr sein Unwesen trieb und eines Tages als Angestellter des Gartenbauamtes enttarnt wurde. Oder der Hundehasser aus Kreuzberg, der, aus Verzweiflung über „Tretminen“ und eingehende Baumsetzlinge, irgendwann zur Strychninpulle griff und Dutzende Lumpis, Hassos und Bellos in die ewigen Jagdgründe schickte. Fast schon gesellschaftsfähig und von Georg Kreisler besungen dagegen das „Taubenvergiften im Park“. Das „Saatkrähenvergiften in Haselhorst“ verfügt demgegenüber nicht mal im Ansatz über eine Satzmelodie. Nicht nur deswegen sollte man es bleibenlassen.

ccm