Standbild: Tjä, wir wollen den Kapitalismus!

■ "Aufwind für den Zonenrand?"

(„Aufwind für den Zonenrand?“, 6.3., 19.30 Uhr, ZDF) Manche Reporter haben es schwer. Sie staksen durchs eigene Fernsehbild. Der Tonmann zeigt der Kamera, wohin sie schauen soll. Die erste Frage gleich, die Renate Juszig den Bauarbeitern an der Zonengrenze stellt: Ob ihnen der Titel ihrer Reportage gefüllt: „Aufwind für den Zonenrand?“ Sie erntet ein Schulterzucken. Nun tjä. Vorher in heute hörten wir, 140.000 Übersiedler seien im Westen arbeitslos. Renate Juszig stellt die Gegenfrage, am Ende ihres Films: 30 Prozent Arbeitslosigkeit in der DDR nach der Wiedervereinigung, nach den Rationalisierungen aufgrund diverser Effektivitätsberechnungen. Die Belegschaft einer Gipsfabrik bleibt trotzdem bei der Antwort: Nun Tjä.

Das ist zugegeben kein guter Stern, unter dem diese Reportage begann und endete. Die allgemeine Ratlosigkeit der Arbeiter und Bauern bietet kaum etwas mehr, als „nun tjä“, diese beiden Silben. Um es kurz zu machen: Aufwind gibt es für den Zonenrand keinen. Mühselig, nur durch Mitdenken, erkannte der Fernsehzuschauer, daß alle sich offenbar verkalkulieren. Die Bürger im Osten haben Wiedervereinigungsfreude, aber nach dem dritten T-Shirt für 9,80 Westmark und dem Antrittsbesuch beim greisen Großpapa legt die sich auch wieder. Die Hoffnung, das Zonenrandgebiet könne künftig auf die Staatssubvention aus Bonn verzichten, ist nicht sonderlich begründet. Die „Zone“ ist und bleibt ein Naherholungsgebiet, wird kein Wirtschaftswunder erleben. Auch das sagt Frau Juszig nicht gerne. Denn das kleine Wirtschaftswunder findet ja statt: in der Kneipe. Ein Ex -SEDler steht hinter einem neuen Tresen vor Blümchentapete. Renate Juszig tätschelt ihn, den „Wendehals“, den „Kleinkapitalisten“. Und hilft ihm, denn sie erzählt uns, es wäre anständiger, sein Bier in 50 Pfennig West zu bezahlen, also mit richtigem Geld.

Nur noch ein Apsekt, weil die vielen in ihrer Reportage zu kurz kommen: Was passiert mit dem Bundesgrenzschutz? Wir erfuhren in den vorangegangenen Nachrichten, daß unser Westinnenministerium die Grenzer eher zur innenpolitischen Verwendung denn zur Arbietslosigkeit benutzen will. Zum Beispiel zum Schutz von Gorleben. Da stehen die Ostler und Westler am grenznahen Atomfriedhof und demonstrieren. Renate Juszig gelingt hier ihre einzige verständliche Aussage in dem Film: Gorlebens Atommülldeponie hat dieselben Grenzzäune, Gräben und Türmchen um sich gebaut, die die DDR bei sich gerade abreißen läßt. Ein „Joint-venture“ der DDR -Grenztruppen - ebenfalls sonst arbeitslos - mit der westlichen Atomindustrie böte sich also an.

Arnd Wesemann