Die kabarettistische Methode

■ Gnade für niemand, Freispruch für alle * Kabarettistische Methoden des Matthias Beltz, erläutert anläßlich seines neuen Soloprogramms inklusive zweier Beltz-Bücher

Kabarett ist Kleinkunst - kein Platz für „große Geister“. Deren Feld sind die Theater, Romane, Essays, ihre Solos legen sie vor Nobel-Kommitees und erlauchten Akademien hin, nicht vor dem Brettl-Publikum im Kleinkunst-Keller. Und doch haben viele Hervorragende, unter all den längst und zu Recht verblaßten großen Kultur-Geistern, zeitlebens einen Hang zum Kabarett, zur Komik, zum Witz der Straßen, Cafehäuser und Keller bewahrt: Dramatiker wie Shakespeare, Lyriker wie Rimbaud, Essayisten wie Tucholsky oder Heilige wie Lao-Tse, der statt jesusmäßigem Pathos lieber spiralistische Pointen setzte. Daß es ausgerechnet die hellsten Köpfe sind, die letztlich den Stehgreif-Kalauer jeder feingestickten Kultur vorziehen, wundert nicht: Wer den Eiertanz auf diesem Planeten wirklich durchschaut hat und sieht, wie er selbst miteiert, der kann die Sache beim besten Willen nicht mehr ernst nehmen. Es ist einfach zu komisch. Und gleichzeitig böser Ernst - da bleibt, als Haltung und Ideallinie, nur die Mitte: Heiterkeit.

Eine Stimmung, deren Herstellung sich angesichts des drohenden Exitus der Natur immer schwieriger gestaltet aber ohne sie geht überhaupt nichts mehr. Wie aber sollen sich Kunst und Wissenschaft, Ökologie und Ökonomie, Mensch und Politik, Leben und Lust auch nur konföderativ jemals vereinen, wenn nicht in einem Klima äußerster Heiterkeit? Es gibt, sagt Matthias Beltz ein Versöhnungsangebot der Kunst an die Wissenschaft (und mir scheint es auch als Währungsunion für die anderen Kontrahenten geeignet): die kabarettistische Methode. „Die kabarettistische Methode, die auf die tragische Wirklichkeit mit gesteigerter Erkenntniskomik reagiert, weiß, daß 'ohne selbstkritische Ironie kein Fortschritt objektiver Erkenntnisse möglich‘ ist (Gaston Bachelard). Das heißt, daß die Selbsterkenntnis des Mittelmaßes weder sich selbst verdrängt, noch den Traum von Größe. Damit ist die kabarettistische Methode urdemokratisch und monarchistisch; sie ist in der Sache unerbittlich, in der Form freundlich, unterhaltsam, entspannend.“

Wie wir uns das vorzustellen haben, deutet der Titel eines neuen Solo-Programms von Matthias Beltz an, „Gnade für niemand - Freispruch für alle“. Das ist so ein typischer Beltz-Satz, leicht dahergesagt, aber streng wissenschaftlich: Es gibt, genau betrachtet, kein anderes Prinzip, die Ungerechtigkeit der Welt in Heiterkeit aufzulösen, als mit einer solchen Strafrechtsreform im Sinne des dialektischen Kabarettismus. Folglich geht es nur noch darum, daß die Rechtsprofessoren und Staatslenker die analytische Kraft des „Dia Kab“ erkennen - solange sie das nicht tun, muß der Nachfahre Carl Napps als Carl Schmitt im Kabarett auftreten, um einen Rest vom Begriff des Politischen zu retten: „Früher, in den schlechten alten Zeiten des Feudalismus waren die Herrschenden die Schweine. Demokratie aber ist Volksherrschaft, also Schweinestall ohne Bauer, Massentiere ohne Haltung, Demokratie also ist die formlose Gleichgültigkeit aller gegen alle, eine Riesensauerei somit. Die entscheidende Frage in der Demokratie heißt doch: Welches Schweinderl hätten sie denn gern? Es ist die Pflicht jedes Demokraten und jeder Demokratin, Schwein zu haben, und wer kein Glück hat, soll sich nicht so anstellen - außer beim Sozialamt, da muß er sich anstellen.“

Wer soll das ändern? Die Linken nicht, da ist sich Beltz, der nicht nur mal Jura studierte, sondern auch Mitglied beim „Revolutionären Kampf“ war, ziemlich sicher: „Das soziale Ideal der westdeutschen Linken ist der systemkritische Protestbeamte auf Lebenszeit mit staatsbezuschußtem Zahnersatz. Erst wenn die außerparlamentarische Bewegung in der Lage ist, ihren Funktionären innerparlamentarische Bezüge zu sichern, ist der Schritt vom Jugendprotest zum Erwachsenenwiderstand als konkrete Utopie verwirklicht.“ Wohin das führt, ist klar: „Integration der alternden Grünen in das System durch Koalition führt zur Autonomie der Rebellion gegen Partizipation.“ Wenn aber jedes Kulturwachstum auf jugendliche Rebellen als Humus angewiesen ist, „muß auch das kulturelle Herumexperimentieren von wilder Musik bis zum leichten bewaffneten Kampf erlaubt sein. Unsere Gesellschaft bedarf, wie der Kanzler sagt, der Eigeninitiative.“ Daß Terrorismus in Wahrheit Käse sein könnte, drückte schon ein früher Beltz-Vierzeiler aus „Partisan und Parmesan, wo sind sie geblieben, Partisan und Parmesan, alles wird zerrieben“ - daß er als solcher in der allgemeinen Spaghethi-Lage der Nation einmal unverzichtbar werden könnte, hätte er sich nicht träumen lassen. Mittlerweile jedoch gehört die integrierte Oppositionsschaltung zur staatlichen Serien-Ausstattung: „Der Franzose Jules Renard hat einmal gesagt, und zwar am Ende des 19. Jahrhunderts, es sei bürgerlich, anti -bürgerlich zu sein. Das heißt doch, daß die bürgerliche Gesellschaft eine integrierte Oppositionsschaltung besitzt. Der ganze Laden funktioniert nur, wenn es genügend Leute gibt, die dagegen sind, damit diejenigen, die eigentlich dafür sind, wissen, wofür sie sind, nämlich für die Erhaltung dessen, was die anderen angreifen. Wir leben also in einer bürgerlichen Kultur, deren Funktionsmechanismus die Krise des Funktionierens ist.“ Wer da als Kabarettist, Adornist („Wer sich keine unnützen Gedanken macht, streut auch keinen Sand ins Getriebe“, T. W. A.) und Kritiker zur Krise des Funktionierens beiträgt, führt sich selbst ad absurdum: „Selbst der Terrorist, wenn er noch einer ist, bildet einen normalen Bestandteil der Staatsgewalt.“

Zwei Bücher von Matthias Beltz, daraus die hier wiedergegebenen Zitate, sind in den letzten beiden Jahren erschienen. Das eine, „Links vom Main“ (Verlag Margot Lang, Frankfurt) ist W. C. Fields und Carl Schmitt gewidmet, dem anderen, „Die Deutsche Opposition“ (Knaur-Verlag) ist das humanistische Motto „Menschenrecht bricht Staatsrecht“ vorangestellt, eine Maxime aus Hitlers „Mein Kampf“ und eine von den „Perlen“, die Beltz am liebsten dann zitiert, wenn er als stinknormaler faschistischer Hausmeister aus dem vollen Leben erzählt. Oder umschaltet zu Carl Schmitt vom Sender Plettenberg und dem staatstheoretischen Kommentar der Woche: „Heute denken alle nur noch ökonomisch, 'oikos‘ heißt Haus, jeder denkt nur noch an sein Haus und seine Wohnung und seine Familie und schreit nach dem starken Staat, wenn ihm jemand ans Häuschen will. Die Steuer wird hinterzogen, aber die Polizei soll ihn schützen vor Einbrechern, das ist der Deutsche von heute und seine Opposition gegen den Staat.“ Matthias Beltz‘ Opposition ist es, zwar in ideologischer Scheinklarheit aufzutreten - als Hausmeister, Rechtsanwalt, Pfaffe oder Moralprediger - dabei aber komplexe Verwirrung zu stiften. Er ist scharf, gemein und genau und kennt keine Gnade, und doch spricht er alle frei: „Alle Menschen sind Pöbel, Dreck, Pickel am Arsch der Natur

-und also ist nicht Bußfertigkeit angesagt und prophylaktisches Heulen und Zähneklappern, nein, New Age, neue Zähne und heftig viel Freiheit, süßes Rumliegen und herbes Zurückschlagen. Die Macht der Machthaber ist nicht deshalb übel, weil die Machthaber besondere Schweine sind das ist ein Thema, bloß nicht die Wahrheit. Der Kampf gegen die Macht ist ein Spiel, ein mörderischer Sport zwischen den Schweinen da oben und den Säuen da unten.“ In seinem neuen Programm reportiert Beltz dieses Spiel als säkulares Fußball -Match: erster Höhepunkt in der 14.-18. Minute, 33.Minute: ein neuer Spielführer wird eingewechselt, 38.Minute: Anschlußtreffer gegen Österreich, 42.Minute: die sibirische Abseitsfalle schnappt zu, 45.Minute: Halbzeit. „Aber“, sagt Sepp Herberger, „jedes Spiel hat 90 Minuten.“ In der Tat: In der 89. Minute ist unheimlich viel passiert, in der 90. liegt ein weiterer Anschlußtreffer in der Luft: „Brauchen die Deutschen eine Verlängerung?“

Solche direkten Analogien, satirische Strickmuster, von denen die meisten seiner Zunft leben, sind beim Kabarettisten Beltz eher die Ausnahme, er schlüpft einfach in die Sprache - des Protokolls, der Gerichte, der Linken, der Verfassung - und läßt sie spielen, in Assoziationsketten, Begriffskaskaden, Wortstrudeln: weder auf Witz komm raus und noch zum Zwecke sinngebender Quälgeisterei, mit fetten Lachern kommt das Publikum genausowenig davon wie mit einer vegetarischen Portion Moral. Der kabarettistische Methodiker arbeitet in aufklärerischer Absicht, aber seine Wissenschaft bietet keine Lösungen, ihre aufblitzenden Perspektiven sind von radikaler Schwärze: „Wenn wir feststellen, daß der Staat funktioniert, obwohl alle dagegen sind, dann freuen wir uns. Dieses nämlich ist Demokratie und vielleicht noch schöner als Anarchie, richtig gute, herzenswarme Anarchie. Denn zu leben in einer Welt, in der nur nette Anarchisten wohnen, das würde den Daseinsaufwand gar nicht lohnen.“ Was lohnt ihn dann? Der jüngste Zweig der Naturwissenschaft - die Chaosforschung - entdeckt gerade, daß Chaos mit Ordnung zusammenhängt und wie das eine aus dem anderen entsteht (und umgekehrt); erweitert um die kabarettistische Methode ergibt das so etwas wie die Programmatik des Matthias Beltz: aus Nihilismus Lebensfreude zu ziehen, weil letztere nur aus ersterem entstehen kann (und vice versa): „Keiner hat das Recht auf Glück, aber jeder hat die Pflicht, nicht unglücklich zu sein.“

Mathias Bröckers

Matthias Beltz:Die deutsche Opposition. Knaur-Verlag, 92 S., 7,80 DM,

Links vom Main. Margot-Lang-Verlag, Frankfurt 1989, 120 S., 14,80 DM