Dollars in Babelsberg

■ Vergangene Woche verfilmte der amerikanische Opernregisseur Peter Sellars in den Babelsberger DEFA-Studios die Brüsseler „Giulio Cesare„-Inszenierung fürs Fernsehen

An den Wänden hängen Lumpen. Lange verstaubte Streifen aus grobem Leinen, „DEFA“ steht drauf und „Filmstudio“. Auf der Bühne liegt eine rostige Tonne, aus dem Orchestergraben tönt Barockmusik. Schnelle Fugati, Tanzmusik fast. Ein Bühnenarbeiter wienert die Rostflecken auf der Tonne blank und wippt mit seinen Turnschuhen im Takt dazu. Auf dem Podium gegenüber nehmen fünf Kameramänner ihre Stellung ein, der Dirigent klärt noch schnell eine Stelle mit den Oboen, auf deutsch mit englischem Akzent, eine resolute Amerikanerin tritt seitlich auf die Bühne, ruft dreimal „Quiet please!“ - wir sind in Ägypten. Ein Gestade aus Stoff und Pappmache, Auftritt Achill (als Offizier), Ptolemäus (als Punk und Countertenor), Sesto (als Guerillero), Caesar und Cleopatra (am Ende als Präsidenten-Ehepaar). Sie singen Kadenzen und berückende Duette, das Cembalo accompagniert den Rezitativen, und die Countertenöre machen vergessen, daß das Zeitalter der Kastraten längst vergangen ist. Sie tragen GI-Uniformen, Lederklamotten, Bademantel oder Bikini und lieben und verführen, intrigieren und morden, daß einem Hören und Sehen vergeht: Händels „Giulio Cesare in Egitto“ ist in der Lesart des mittlerweile 30jährigen Peter Sellars ein Stück über die Invasion einer Großmacht in ein armes Land, das am Ende den Besatzer als Befreier bejubelt. Cleopatra verführt Caesar, sie trägt einen goldenen Bikini, wackelt mit dem Hintern, singt traumhaft schöne Arien und wirft mit Dollars um sich. Das Happy End ist absehbar, Kameras aus, Vorhang zu. Die Putzfrau sammelt die theaterblut-verschmierten Dollarscheine ein, die sauberen steckt sie zurück in den Geldsack. Aber das gehört nicht mehr zum Stück, der dritte Akt ist abgedreht. Hinterher erzählt die Putzfrau, draußen am Wohnwagen, wo es Kaffee gibt, sie sei eigentlich Kleindarstellerin. Von der DEFA.

Das Verrückte ist: es paßt alles zusammen. Als habe sich das einer ausgedacht. Der Amerikaner Peter Sellars, der in den letzten Jahren die weltweit lebendigsten und aufregendsten Musik-Theater-Inszenierungen auf die Beine gestellt hat, inszeniert die italienische Oper des damals britischen George Frederick Haendel, präzis und pfiffig interpretiert von der Dresdner Staatskapelle unter Leitung des britischen Dirigenten Craig Smith, die Requisiten stammen aus Paris (dort gastierte die Brüsseler Produktion zuletzt) und aus Babelsberg, die Szenen auf der Bühne korrespondieren mit denen davor, dahinter und draußen vorm Studiogebäude.

Sellars „Cesare“ ist zum Lachen und bitterernst, Oper in Hemdsärmeln und zugleich hochartifiziell. Keine Sekunde wird getan, als ob echt sei, was geschieht: Wenn einer ermordet wird, wird ein Pappbecher voll roter Farbe über ihm ausgekippt. Und doch scheint mir nach einer Stunde im drittem Akt nichts natürlicher, als wenn ein Punk (Drew Minter als Ptolemäus) Countertenor-Kadenzen singt, dabei die Gefangene (Cleopatra) mit Fußtritten traktiert und beim Höhepunkt sein Geschlecht an ihren Schenkeln reibt.

Eigentlich sollte die Oper in Wien aufgezeichnet werden, für die ARD, BBC, den amerikanischen Kulturkanal PBS, das Österreichische Fernsehen und als Schallplatte für Decca, damit die Inszenierung der Nachwelt erhalten bleibt. Aber in Wien blockierte Zadek das Studio, die Nachricht erreichte die Produzenten in Cannes, dort war gerade Musikmesse. Also telefonierte man in Europa herum; in Paris und Brüssel gab es keine gescheite Technik, in Hamburg kein Orchester, in München kein freies Studio. Und die Westberliner UFA-Studios waren geschlossen. Also kontaktierte man Babelsberg, das war vor vier Wochen. Daß das DEFA-Studio etwas billiger sei als entsprechende Räumlichkeiten in West-Berlin, so der Münchner Produzent Eberhard Scheele von Mediascope, sei wirklich nicht der Grund gewesen. Sie hätten einfach keine andere Möglichkeit gehabt. Die Technik besorgte man sich aus West -Berlin - kein Problem, denn er, Scheele, und Fritz Buttenstedt von der videothek electronic tv-production kennen sich noch aus ihrer Lehrzeit bei Leo Kirch. Die beiden stehen vor dem Studio am Wohnwagen-Imbiß, erzählen sich Stasi-Witze, und Buddenstedt merkt an, er habe auch mal hier gearbeitet, von '46 bis '51. Er erzählt auch, daß das von ihnen gemietete Studio nicht frei war und eigens für Sellars leer geräumt wurde. (In einem anderen Babelsberger Studio probt übrigens zur Zeit Peter Stein für seine nächste Premiere). Dem DDR-Fernsehen werde man die Produktion vielleicht sogar schenken.

Peter Sellars hat keine Zeit, die letzten fünf Minuten vom dritten Akt fand er katastrophal, er wird nochmal gedreht, dazu muß er in den Technik-Wagen (West) mit den fünf Bildschirmen, von denen aus er die Kameramänner im Studio (Ost) dirigiert. Später wird er alles mit nach Hause nehmen und selbst schneiden.

Neben dem Wohnwagen stehen uralte Teeröfen; unerfindlich, ob damit die Straßen zwischen den Babelsberger Studios geteert werden, oder ob es sich um Filmrequisiten handelt. Hinter den Teeröfen der Mercedes des Münchner Produzenten, blitzblank und mit einem blutigen Pappmache-Kopf in der Heckscheibe. Vielleicht ist es der von Pompejus, dessen Haupt in einem der bereits abgedrehten Akte Caesar überreicht worden war.

Die Teeröfen und der Mercedes, die Herren von Kirch neben dem Wohnwagen - keine Inszenierung. Aber selbst die Coladose, die jemand in einer Nische in der Wand neben dem Studioeingang abgestellt hat, sieht aus, als sei sie von Sellars persönlich plaziert.

Christiane Peitz