Machtkampf im „Schloß des frohen Herzens“

Intrigen, Kabale, Verrat und Mord im bürgerkriegsgeschüttelten Afghanistan  ■ G A S T K O M M E N T A R

Wenn zwei Afghanen sich einig sind, dann sind sie sicher keine Afghanen.“ Das alte paschtunische Sprichwort gilt nicht nur für die afghanischen Mudschaheddin, deren ewig blutige Zwistigkeiten zur Genüge bekannt sind, sondern auch für ihre kommunistischen Feinde in Kabul.

Die Geschichte der herrschenden Volksdemokratischen Partei Afghanistans ist eine unheilvolle Chronik von Intrigen, Kabalen, Verrat und Mord. Die zwei ersten kommunistischen Staatspräsidenten, Mohammed Taraki und Hafiz-ullah Amin, wurden ermordet - ersterer mit einem Kopfkissen in seinem Schlafzimmer im Präsidentenpalast „Qasr-e Delgocha“, was sinnigerweise „Schloß des frohen Herzens“ bedeutet. Frohen Herzens verbrachte auch der dritte Staatschef Babrak Karmal seine Amtszeit nicht. Er wurde entmachtet und verschwand in der sowjetischen Verbannung.

Die Volksdemokratische Partei war von Beginn an mit dem Fluch der Uneinigkeit belastet. Die Partei ist nach wie vor in zwei Fraktionen, die sich bis aufs Blut bekämpfen, gespalten: die „Parcham“ („Flagge“) und die „Chalk“ („Volk“). Die Parchamis, geführt von Staatschef Nadschibullah, rekrutieren sich aus dem gebildeten städtischen Bürgertum und sind meist tadschikischer Herkunft. Die Chalkis gehören überwiegend zum wehrhaften Volk der Paschtunen und kommen aus den ländlichen Gebieten. Die Parcham-Fraktion - moskautreu und moderat - hatte stets den Geheimdienst in der Hand. Die Chalk hingegen nationalkommunistisch und unversöhnlich - stellten fortwährend die militärische Führung. Das Ganze wurde nur auf Diktat Moskaus zusammengehalten.

Der Putschist Tanai ist ein Exponent der Chalki. Inzwischen scheint sich die Behauptung Nadschibullahs, der Verteidigungsminister Tanai habe mit dem radikalen Islamisten Hekmatyar gemeinsame Sache gemacht, zu bewahrheiten. Es ist ein offenes Geheimnis, daß die Chalki des öfteren militärische Geheimnisse an Mudschaheddin verraten, um ihren Parcham-Rivalen zu schaden.

Doch die afghanischen Intrigen sind nicht in erster Linie das Ergebnis der Untugenden der verschiedenen muslimischen und kommunistischen Parteiführer in Kabul und Peschawar, sondern sie sind Ausdruck eines in verschiedene Völkerschaften, Regionen, Religionen und neuerdings auch Ideologien zerrissenen Volkes. Die Einmischung regionaler und überregionaler Mächte - Pakistan, UdSSR, USA, Iran, Saudi-Arabien -, die das afghanische Bergland als ihre Domäne betrachten und Leid und Leidenschaften der Afghanen für ihre Zwecke ausnutzen, trägt wesentlich zum desolaten Zustand des geschundenen Landes bei.

Ahmed Taheri