So schnell wie möglich aussteigen

■ Den nervenaufreibenden KiTa-Alltag mit Schichtdienst halten die meisten Berliner ErzieherInnen nicht lange aus

Wenn Claudia Schüler mal wieder ihre Kids „angepöbelt hat, weil beim Mittagessen schon der vierte Teller vom Tisch gefegt wurde oder wieder mal eine Zahnbürste im Klo gelandet ist“, dann hat das natürlich ganz und gar nichts mit Pestalozzischen Idealen zu tun. „Du läufst hier ständig deinen Ansprüchen hinterher“, meint die 26jährige Berliner Hort-Erzieherin desillusioniert, obwohl sie erst vier Jahre im Beruf ist. Ihrer Kollegin Tatjana Thomas geht es nicht besser. Sie kommt „vor lauter Nebenaufgaben - Essen holen, Aufräumen, Kinder aufs Klo bringen - „höchstens zwei Minuten am Tag“ dazu, sich intensiv um ein Kind zu kümmern. „Wann lauf‘ ich am Tag schon mal aufrecht“, beschreibt sie doppeldeutig den KiTa-Alltag, der mit der vielen Kinderheberei auch reichlich auf den Rücken geht.

KiTa-Alltag, das ist ein Lärmpegel, der spätestens nach dem vierzigsten Lebensjahr zum Gehörschaden führt. Ausflüge mit den Kids sind kaum noch möglich. Auch Zeit für Elten- und Dienstgespräche bleibt nur selten. Vor- und Nachbereitung müssen die Erzieherinnen dann in der Freizeit erledigen, denn irgendein „Programm“ muß sein, damit die Kinder nicht vor Langeweile total aggressiv werden. Unter diesen Bedingungen sind Kolleginnen über vierzig, fünfzig Jahre alt in den KiTas selten geworden. Sie sparen jede Mark, um so schnell wie möglich auszusteigen. Erzieherin, eigentlich ein anspruchsvoller Beruf und deshalb auch mit einer Ausbildungszeit von vier Jahren versehen, ist zu einem unattraktiven Job geworden. In allen Bezirken sind Dutzende von städtischen KiTa-Stellen unbesetzt.

Grund für die katastrophale Situation in den städtischen Kindergärten sind laut Gewerkschaften gewisse „Berliner Besonderheiten“: Hier sind die KiTas elfeinhalb Stunden geöffnet, und das bedeutet Schichtdienst. Durch die seit Anfang der achtziger Jahre bestehende Dringlichkeitsregelung werden berufstätige Alleinerziehende bevorzugt. Für deren Kinder ist eine intensivere Betreuung notwendig. Kinder, die nur halbtags und bloß deshalb kommen, um unter SpielkameradInnen zu sein, gibt es kaum noch. Außerdem nimmt durch die zerstörte Umwelt der Großstadt die Zahl verhaltensauffälliger und lerngestörter Kinder zu. Die Aufgabe, ausländische und behinderte Kinder sowie die vielen kleinen Übersiedler zu integrieren, kommt hinzu.

Hans-Hermann Kotte