Alle wollen die Nordsee schützen

Bei der Konferenz zum Schutz der Norsee stehen die Briten am Pranger / Stillegung der WAA Sellafield gefordert  ■  Aus Den Haag Michael Bullard

Wer ist der beste Nordseeschützer? Europas Kronprinzen haben einen neuen Zeitvertreib entdeckt. Als Arena für den blaublütigen Wettstreit dient seit gestern die dritte Nordseekonferenz der Anrainerstaaten im hölländischen Den Haag.

Nachdem die traditionellen Feindbilder ausgedient haben, so Seine königliche Hoheit, Prinz Claus der Niederlande, sollen jetzt die Umweltverschmutzer herhalten. Dem Holländer fiel es leicht, über seinen Rivalen von jenseits des Kanals zu triumphieren. Prinz Charles hatte zwar beim letzten Treffen 1987 in London über das „Silbermeer“ poesiert. Nun wurde der Regierung seines Landes der Titel „Umweltsau Europas“ verliehen, weil Großbritannien trotz gegenteiliger Abmachungen weiterhin ungeheure Dreckmengen in die Nordsee kippt. Bis 1995 wollten die Anrainerstaaten 50 Prozent weniger Industriegifte und Dünger ins Meer leiten, doch nur wenige Regierungen haben bislang die dazu notwendigen Schritte unternommen.

Großen Beifall erhielt der irische Umweltminister Patric Flynn, als er die Schließung der britischen Wiederaufbereitungsanlage in Sellafield forderte. Die Bemühungen der Thatcher-Regierung, die radioaktiven Abwässer zu reduzieren, seien zwar anerkennenswert, reichten aber nicht aus. Die Hansestadt Hamburg, wie andere an die Nordsee grenzende Bundesländer mit Gaststatus ausgestattet, boykottierte die Konferenz wegen der geplanten Ausweitung der britischen WAA.

Peinlich war die Bestandsaufnahme von Umweltministern und Umweltgruppen wie Greenpeace allerdings nicht nur für die Briten. Auch Franzosen und Belgier kamen unter Beschuß, weil sie sich nicht an die in London beschlossene 50prozentige Reduzierung der Giftmülleinleitung in die Nordsee halten. Der belgischen Regierung und den EG-Behörden wurde vorgeworfen, daß die rund eine Million Einwohner der Hauptstadt Europas - unter ihnen etwa 50.000 EG-Mitarbeiter

-ihre gesamten Abwässer weiter ungeklärt ins Meer leiten.

Im Büßergewand traten die Vertreter der CSSR und der DDR auf. DDR-Vizeumweltminister Winfried Pickart bekannte sich zu der „Verantwortung als Anlieger der Elbe, an der Verschmutzung der Nordsee zu 10 bis 12 Prozent teilzuhaben“. Bereits am Dienstag hatten DDR-Vertreter bei einer Gegenveranstaltung zur offiziellen Nordseekonferenz auf die dramatische Situation in der Elbe und im Industriegebiet Bitterfeld hingewiesen.

Mit wohlmeinenden Appellen endete der erste Tag der Nordseekonferenz: Die dänische Umweltministerin Lone Dybkjaer forderte mehr Öffentlichkeit für die hinter verschlossenen Türen stattfindenden Verhandlungen und ein klares Bekenntnis zur „Politik der Vermeidung von Umweltschäden“. Außerdem verlangte sie, daß getroffene Beschlüsse durch Übernahme in nationale und internationale Gesetze einklagbar werden. Bundesumweltminister Töpfer wollte sich mehr um die atmosphärischen Immissionen in die Nordsee kümmern, die letzten Studien zufolge einen beträchtlichen Teil der Verschmutzung ausmachen. Ein schwer einzulösendes Versprechen, weil hier der bundesdeutsche Autowahn zu den Hauptverursachern zählt.