Sterntaler

■ Daimler-Benz ist irritiert, wir auch

Gott nein, was wollte man uns in den letzten Wochen nicht alles erzählen. Was ganz enorm wichtiges würde aus unserer kleinen Stadt demnächst werden: Deutsche Hauptstadt zumindest, europäische Metropole gleich mit, Weltstadt auf alle Fälle. Gar nicht mehr retten könnten sich unsere SenatorInnen vor den Großkonzernen und Banken dieser Erde: Keiner, der nicht wenigstens zwanzig Stockwerke auf den märkischen Sand setzen wollte. Die weltweite Architekturprominenz müsse jetzt Vorschläge machen, alle müßten kräftig diskutieren. Und dann würde es Mercedessterne nur so vom Himmel regnen.

Und wahrlich: Daimler-Benz kam und wollte am Potsdamer Platz bauen, auf diesen wüsten Fleck Erde, den die Bürohausbranche bisher gemieden hatte, wie Erich Honecker das Pfarrhaus. Einen kleinen Schönheitsfehler hatte die Sache freilich: Während die Diskussion noch gar nicht begonnen hatte, wurde dem Stuttgarter Konzern schon ein Gelände und die Bauerlaubnis für eine eigene kleine Bürostadt versprochen. Aber so funktioniert Stadtplanung natürlich immer, und anders geht es nicht, ganz klar. Daimler-Chef Reuter war leider nicht zuzumuten, seine Pläne vorab im örtlichen Stadtteilausschuß vorzutragen. Großkonzerne sind einfach schrecklich sensibel. Irgendwann würden dafür ja die Mercedessterne regnen, dachten wir. Jetzt sehen wir erstmal ein, daß Großkonzerne noch viel sensibler sind, als wir dachten: Daimler-Benz ist irritiert, weil der Termin für den städtebaulichen Ideenwettbewerb eventuell verschoben wird. Der Bausenator will das nicht zulassen und deshalb den Wettbewerb auf Ost- und Westberliner Architekten beschränken.

„International“ im strengen Sinn des Wortes ist das freilich nicht mehr. Und irgendwann ist man dann auch als Bewohner dieser Stadt irritiert. Entweder Berlin ist ein begehrter Platz - dann soll Daimler froh sein und sich gefälligst gedulden. Oder die Stadt muß sich immer noch vor der Konkurrenz von Sindelfingen und Gütersloh in Acht nehmen. Nach allen Erfahrungen mit dieser Stadt ist letzteres die Wahrheit.

Hans-Martin Tillack

(siehe auch Bericht auf Seite 30)