Es brodelt in den schwarzen „Homelands“

De Klerk wirft dem ANC vor, seit der Freilassung Mandelas Streiks und Demonstrationen in den Homelands zu schüren / Südafrikanische Armee stellt auf eigene Weise die „Ruhe“ wieder her  ■  Aus Johannesburg Hans Brandt

Nach der Verhängung des Ausnahmezustandes und dem Einsatz südafrikanischer Soldaten wurde gestern im „unabhängigen“ südafrikanischen Reservat für Schwarze Bophuthatswana die „Ruhe“ wieder hergestellt. Am Mittwoch waren mindestens 14 Menschen ums Leben gekommen und mehr als 500 verletzt worden, als die Polizei das Feuer auf 120.000 DemonstrantInnen eröffnet hatte. Die BewohnerInnen des Homelands fordern die Wiederangliederung des Gebietes an Südafrika. Die schon seit Monaten andauernde Krise in Südafrikas zehn Homelands hat sich seit der Freilassung von Nelson Mandela Mitte Februar verschärft. Der Putsch in der Ciskei letztes Wochenende und die darauf folgenden Plünderungen waren die erste Explosion der aufgestauten Wut der Bevölkerung in diesen ländlichen Gettos. Nur mit dem Eingreifen südafrikanischer Soldaten konnte die „Ruhe“ wieder hergestellt werden.

In Venda im Nordosten Südafrikas an der Grenze zu Simbabwe hatte es indessen schon seit Mitte letzten Jahres gebrodelt. Nun hat ein seit vier Wochen andauernder Streik von BeamtInnen, an dem sich sogar Polizisten beteiligen, auch die dortige Verwaltung an den Rand des Zusammenbruchs gebracht. Soldaten und Polizisten aus Südafrika wurden schon im Laufe der letzten Woche nach Gazankulu, im Nordosten des Landes an der Grenze zu Mosambik, geschickt. Dort hatten Schulboykotte und Streiks nach der Freilassung Mandelas zu Auseinandersetzungen geführt, bei denen mindestens zehn Menschen getötet wurden.

Reservate für Schwarze gibt es in Südafrika schon seit der britischen Kolonialzeit. Die Apartheid sieht vor, daß aus den Reservaten „unabhängige“ Staaten für Schwarze werden. Diese Idee war ein Versuch der weißen Regierung, die Entkolonialisierung Afrikas Ende der fünfziger Jahre für ihre eigenen Zwecke auszunutzen. Bisher haben sich vier Homelands für die „Unabhängigkeit“ entschieden - Transkei, Bophuthatswana, Venda und Ciskei. Ziel des Homeland-Systems ist es, alle Schwarzen zu zwingen, „BürgerInnen“ der Homelands zu werden und damit auf ihre südafrikanische Staatsbürgerschaft zu verzichten. Damit würde der weiße Mann „seine Freiheit und sein Recht der Vorherrschaft in dem Land erreichen, das für ihn von seinen Vorvätern besiedelt wurde“, meinte Hendrik Verwoerd, der Architekt dieser Politik 1961.

Seit Anfang der sechziger Jahre wurden etwa 3,5 Millionen Schwarze gegen ihren Willen aus dem „weißen“ Südafrika in die Homelands zwangsumgesiedelt. Die Homelands machen nur 13 Prozent der Fläche Südafrikas aus, doch der Apartheid zufolge sollen sie für 70 Prozent der Bevölkerung Heimat sein. Die Homelands sind so überbevölkert, daß die Bevölkerung dort sich nicht selbst ernähren kann. Sie sind Auffanggebiete für ArbeiterInnen, die von der Industrie des weißen Südafrikas jederzeit abgerufen werden können.

Wirklich „unabhängig“ ist keines dieser Gebiete. Sie alle erhalten etwa zwei Drittel ihres Einkommens aus direkten Zuschüssen Südafrikas. Dabei erwartet sogar die Regierung in Pretoria, daß etwa fünf Prozent dieser Milliardenbeträge in den Taschen der Homelandverwalter verschwinden. Die Homelandregierungen werden zur Zeit nur durch den Einsatz südafrikanischen Militärs an der Macht gehalten.

De Klerk vermutet hinter der jüngsten Protestserie in den Homelands die Hand des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC). „Das ist zum Teil ein Resultat der anhaltenden Kriegsgebärden und des Festhaltens am bewaffneten Kampf“, meinte De Klerk am Mittwoch. Er werde jedoch verhindern, daß „das Land in Chaos und Anarchie fällt“. Der ANC dementiert allerdings, die Aufstände angezettelt zu haben. Tatsächlich haben Oppositionsvertreter sogar ein Ende der Gewalt gefordert. Die Proteste machen eigentlich nur deutlich, wie abhängig die Homelandverwaltungen von der Zentralregierung in Pretoria sind.