Magere Kompromisse bei Nordseekonferenz

Zwar sollen bis 1995 die Einleitungen von Dioxin, Quecksilber, Cadmium und Blei drastisch reduziert werden, doch vor radikalen Maßnahmen schrecken die UmweltministerInnen der Anrainerstaaten zurück / Großbritannien die Umweltsau / Vulcanus kippt 60.000 Tonnen Giftmüll in die See  ■  Aus Den Haag Michael Bullard

Der Name versprach malerisches Ambiente alter Meister. Im Franz-Hals-Saal des gigantischen Kongreßwürfels in Den Haag dominierte jedoch eine poppig bunte Mordsee-Fantasie. Vor diesem Poster der Besatzung des Feuerschiffs „Borkumriff“ gibt Bundesumweltminister Töpfer preis, was acht MinisterInnen während der dritten Nordseeschutzkonferenz Mittwoch und Donnerstag hinter verschlossenen Türen produziert haben. Danach sollen die vier besonders umweltschädlichen Substanzen, nämlich Dioxin, Quecksilber, Cadmium und Blei, bis 1995 um 70 Prozent reduziert werden. Vom sofortigen Einleitungsverbot war allerdings keine Rede.

Immerhin hat es hinter den Kulissen Zoff gegeben, nicht nur wegen der britischen Umweltsauereien. Auch Töpfer mußte Kritik einstecken: Von der dänischen Umweltministerin Lone Dybkjaer wird er wegen seiner Atomentsorgungspolitik angegriffen. Denn nachdem die Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf nicht in Betrieb genommen wird, setzt er auf die Anlagen in Frankreich und Großbritannien.

Auch der schleswig-holsteinische Umweltminister Heidemann hat die Schnauze voll: „Zuwenig Fortschritte sowohl bei Klärschlammverbringung und Nährstoffeintragung.“ Dennoch gab sich Töpfer optimistisch: Seiner Liste mit insgesamt 37 schädlichen Stoffen, die verboten werden sollen, sei zugestimmt worden. Selbst sein Vorschlag, daß in allen Ländern eine dritte - biologische - Reinigungsstufe für kommunale Kläranlagen eingeführt wird, konnte sich trotz des Widerstand der Franzosen und der Briten durchsetzen. Wie er denn sein Versprechen einlösen wolle, die Verschmutzung der Nordsee durch Blei zu verhindern, das aus den Autoauspuffen über die Luft ins Meer gelangt? Der CDU-Minister ist um die Antwort nicht verlegen: Bleihaltiges Normalbenzin sei in der Bundesrepublik verboten. Dies führe zu einer deutlichen Verringerung der Bleikonzentration in der Luft. Allein, in der Nordsee ist davon nichts zu spüren: „Die gesamte Deutsche Bucht ist mittlerweile ernsthaft mit Schwermetallen verseucht“, schreiben die ExpertInnen des World Wildlife Fund.

Ähnlich steht es auch mit dem Anteil von Nitraten und Phosphaten, die pro Jahr in das Meer fließen. Sie sollen bis zum Ende des Jahrzehnts um 70 bis 90 Prozent verringert werden, um den exorbitanten Algenwuchs zu bremsen.

Dank der Landwirtschaftslobby vor allem Frankreichs ist jedoch ein Beschluß in diese Richtung nur schwer durchzusetzen. Immerhin sind sich die UmweltministerInnen einig, die Einleitung von polychlorierten Biphenylen (PCB) zu verbieten - allerdings erst 1999. PCBs sind giftige, krebsauslösende chemische Verbindungen. ExpertInnen schätzen, daß jährlich 39 Tonnen PCB in die Nordsee gelangen, davon allein 60 Prozent aus Großbritannien.

Die Liste der britischen Umweltsünden ist lang. Mit einem Schreiben an den britischen Umweltminister Chris Patten protestieren die Regierungen Norwegens, Schwedens und Dänemarks gegen die Absicht Großbritanniens bis 1992 oder 1993 Industrieabfälle in der Nordsee zu verklappen. Mit der Macht der Arroganz setzt sich Patten über die Kritik hinweg: Die Nordsee werde hauptsächlich durch die Flüsse des europäischen Kontinents verschmutzt. Zu der Forderung des irischen Umweltministers Patric Flynn, die Wiederaufbereitungsanlage in Sellafield wegen anhaltender nuklearer Verschmutzung zu schließen, brüstet sich Patten mit der „news“, der nukleare Ausfluß sei bereits um 90 Prozent verringert worden und solle weiter verringert werden. Was die Wiederaufbereitungsanlage im schottischen Dounreay angeht, so Patten, sei eine Planungserlaubnis gegeben worden. Endgültig entschieden werde über den Bau der kombinierten Atomkraftwerk-Wiederaufbereitungsanlage erst in sechs Jahren. Bis dahin wird erst einmal gebaut, um die notwendigen Fakten zu schaffen.

Szenenwechsel: Im Walfischzelt auf der Hafenmole Scheveningens, dem Strandvorort Den Haags, tagt die Vollversammlung der Jugendumweltverbände unter dem Motto „Meere in Not, paßt auf!“ Mit Dreizack, Krone und Trillerpfeiffe waren die etwa 60 UmweltaktivistInnen den ganzen Tag durch die Stadt gezogen, um die wenig interessierte Öffentlichkeit über den wahren Charakter der Nordseeschutzkonferenz aufzuklären. „Die Umweltminister reden. Die Nordsee stirbt derweil. Nationaler Egoismus verhindert auch bei der dritten Nordseeschutzkonferenz die Einleitung wirksamer Schutzmaßnahmen.“ Ein junger Mann berichtet den JüngerInnen Neptuns über die Vorträge der MinisterInnen und UmweltvertreterInnen im Kongreßgebäude am Mittwoch vormittag: „Bei dem Schweizer bin ich eingeschlafen. Den Rest habe ich nicht mitbekommen.“ Lauter Beifall - offensichtlich herrscht im Zelt Selbstgenügsamkeit, denn den Eklat der Veranstaltung hat der Rapporteur verschlafen: Daß der irische Umweltminister seine britischen Kollegen aufforderte, die Leukämieschleuder Sellafield zu schließen. Dies ist seit langem eine Hauptforderung der Umweltverbände. Stattdessen konzentriert man sich im Zelt auf Unterhaltsameres: Die nächste Aktion soll mit britischen Kleinfischern laufen, um gegen die mörderischen Methoden der Großfischer zu protestieren, die mit modernen Schleppnetzen den Meeresboden umpflügen und auf ihrem Weg die Bewohner der Nordsee ausradieren.

Auf dem Feuerschiff „Borkumriff“ herrscht Hochbetrieb. Eigens für die Nordseekonferenz stampfte es durch den Sturm nach Scheveningen, um als Lobbyzentrale für die BürgermeisterInnen der holländischen, dänischen und bundesdeutschen Wattenmeerinseln zu fungieren. Wohlgenährte, bärtige Kravattenträger schnacken Platt. Stolz verweisen sie auf ihre nicht-chlorgebleichten Hochglanzbroschüren. Statt handelsübliches Papier, dessen Produktion chlorierte Kohlenwasserstoffe freisetzt, die Krebs erregen, verwenden die InsulanerInnen mit Wasserstoffperoxid gebleichtes Papier, dessen Herstellung umweltfreundlicher ist. Sie geben sich kämpferisch: „Zwar hat die Bundesrepublik die Seeverbrennung von Problemabfällen eingestellt. Doch Frankreich, Belgien, Spanien und Großbritannien karren nach wie vor mit dem deutschen Schiff Vulcanus jährlich etwa 60.000 Tonnen hochgiftige Abfälle zur Doggerbank. Bei der Verbrennung der zumeist chlorierten Kohlenwasserstoffe entstehen Gifte wie Dioxin, Furane und anderes Teufelszeug.