„Betrug“ an 60.000 BremerInnen

■ DPWV empfiehlt Klagen gegen neue Sozialhilfe-Regelsätze / Nach der Reform 68 Mark weniger

Sie haben die unschöne Wahl zwischen Margarine oder Marmelade, sie knipsen am Monatsende den Kühlschrank aus, weil er sowieso leer ist und nur Strom kostet, sie kennen sich bestens aus in den Beständen von Gebraucht -Kleiderkammern und Gebraucht-Möbelzentralen: die rund 60.000 Bremer Sozialhilfe-EmpfängerInnen, immerhin rund 10 % der Bevölkerung. Und wenn ab 1. Juli

90 bundesweit die ehemals vielerwartete Neuberechnung der Sozialhilfe-Regelsätze in Kraft tritt, werden sie wieder draufzahlen und unter dem Strich noch weniger auf dem Konto und in der Tasche haben als jetzt.

„Wir haben große Hoffnungen in diese Neuberechnung der Sozialhilfe gesetzt, die den 'Warenkorb‘ ablösen soll, jetzt kommt eine kostenneutrale Lösung, und

es wird eingespart. Wir nennen das Betrug“, erklärte gestern vor JournalistInnen Albrecht Lampe, Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes (DPWV) in Bremen, „der politische und moralische Spielraum ist ausgereizt und ausgeleiert. Es bleibt der juristische Weg.“ Ein Beispiel: Nach den neuen Regelsätzen wird eine Alleinerziehende mit zwei Kindern von 12 und 14 Jahren monatlich 68,40 Mark weniger bekommen als heute. „Wir rufen jetzt dazu auf, juristische Schritte einzulegen und geben dabei jede Unterstützung“, kündigte DPWV-Referentin Ilona Markossa an. Muster-Widersprüche und Klagen werden gerade für die Betroffenen formuliert. Schon 50 Bremer SozialhilfeempfängerInnen stehen klagebereit in den Startlöchern.

Auf einer Fachtagung zu Menschenwürde und Finanzen hatte der DPWV am letzten Montag politisch und juristisch ausdiskutiert: Die geplanten Änderungen sind anfechtbar. Allermindestens um 4,6%, gerechterweise jedoch um 12,6% müsse die Sozialhilfe erhöht werden, hatte - als Gutachter von der CDU-Bundesregierung beauftragt - der renommierte 'Deutsche Verein‘ empfohlen. Übrig blieb jetzt die lächerliche Erhöhung um 4,6% - aber verteilt auf drei Jahre.

„Wenn ein Nachholbedarf festgestellt ist, kann der nicht gedrittelt zugeteilt werden“, argumentiert der DPWV. Ungleiches Recht soll auch für die Kinder aus Vater-und -Mutter-Familien bzw. für die von Alleinerziehenden gelten: 50 bzw. 55% des Regelsatzes ist für sie vorgesehen. „Das widerspricht dem Gleichheitsgrundsatz“, so Markossa, „und wenn die 18-bis 25jährigen nur 90% des Regelsatzes bekommen sollen, ist auch das anfechtbar.“

Merkwürdigkeiten gibt es auch bei dem neuen Bemessungsmodell, wo es um Regelsätze für Kinder geht: Die sind zwar für jedes Lebensjahr einzeln festgelegt, ignorieren aber Daten wie Kindergarten-Alter oder Einschulung völlig. Nur mit 15 Jahren gibt es schlagartig 15 % mehr, danach ist wieder Ebbe.

Daß es noch einen politischen Kampf, etwa der SPD-Länder, um die Regelsätze geben wird, scheint ausgeschlossen. Landeschef Klaus Wedemeier, so fordert der DPWV ohne viel Hoffnung, soll am 16. März im Bundesrat gegen die Vorlage stimmen. In seinem Land Bremen ist seit Jahren massenhaft zu beobachten, wie die Armen in die Suppenküchen strömen, wie Wohnungen nicht mehr bezahlt und neue Kleider nicht mehr gekauft werden können.

S.P