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HÖHLE DES LÖWEN

■ Reisemessen und (Tourismus-)Politik

Besuchen Sie Südafrika - es ist großartig!“ Diese verheißungsvolle Aufforderung, die nächste Urlaubsreise in das Land am Kap zu machen, stand als Motto über dem Messestand der südafrikanischen Aussteller auf der Internationalen Tourismus-Börse (ITB) in Berlin. Wer hingegen, wie circa 100 Apartheidgegner am letzten Sonnabend, den Südafrika-Stand besuchte, um dort gegen die Rassendiskriminierung der schwarzen Bevölkerungsmehrheit zu protestieren, der konnte sich womöglich die Finger verbrennen. Die Messeleitung AMK machte von ihrem Hausrecht Gebrauch, die in Kampfkleidung angerückte Polizei „eskortierte“ eine Gruppe zivilen Ungehorsam leistender Demonstranten vor die Messehalle. Ein bedauerlicher Zwischenfall, bei dem einzelne Polizisten mit Tritten und Schlägen aus der Reihe tanzten? Oder vielmehr die schmerzhafte Inkarnation des Dogmas, daß „Politik“ auf einer Reisemesse nichts zu suchen hat?

Auf jeden Fall hat die alte Diskussion, ob Politik auf der zentralen Großdemonstration und Leistungsschau der Reisebranche, der ITB, stattfinden darf, wieder neuen Nährstoff erhalten. Dahinter steht die grundsätzliche, vordergründig antagonistische Frage: Soll der Tourismus politikfrei sein, soll er also von politischen Gängelungen und Restriktionen verschont werden, oder sind politische Eingriffe in das Tourismusgefüge legitime Mittel? Je nach Interessenlage wird dies unterschiedlich beantwortet.

Nach dem „Ausstellungs- und Messe-Ausschuß der deutschen Wirtschaft“ (AUMA) muß eine Messegesellschaft dafür sorgen, „daß bei all ihren Messeveranstaltungen die politische Neutralität strikt gewahrt wird, daß die Marktfunktionen optimal ablaufen“ und „ein internationales und aufgeschlossenes Klima notwendig“ sei. „Eine Diskriminierung einzelner Länder“, schlußfolgert die AUMA, „würde zwangsläufig zu Maßnahmen der betroffenen Länder bei ihren Messen führen. Der deutschen Exportwirtschaft würde dadurch erheblicher Schaden zugefügt.“ Hier springt die Katze aus dem Sack: Würde Südafrika auf der ITB wegen seiner Rassentrennungspolitik diskriminiert (sic!) werden, dann würden die deutschen Geschäftsverbindungen zum Kap der guten Hoffnung nicht mehr so geschmiert laufen. Verkehrte (semantische) Welt! Wegen der „liberalen Zulassungspraxis“ darf keine Messegesellschaft ein bestimmtes Land diskriminieren.

Hannelore Saibold, tourismuspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, macht sich nichts vor: „Tourismus ist politisch! Tourismus ist ein starker Wirtschaftsfaktor. In welchem Land investiert wird, hängt doch neben vermarktungsfähigen Landschaften auch von den politischen Umständen und Bedingungen ab.“ Das touristische Gewerbe, so scheint es, ist wie das horizontale: Es ist eine Hure, die sich mit jedem ins Bett legt, wenn er zahlungskräftig ist, auch wenn der Bettgenosse Apartheid heißt. Der Krüger-Rand muß rollen.

Gebetsmühlenartig wiederholt die Berliner Messeleitung AMK ihre Position: Die ITB ist eine Weltmesse und hat eine Monopolstellung; daher darf kein Land ausgeschlossen werden. Die ITB ist eine wirtschaftliche Veranstaltung mit dem Ziel, den Tourismus in den einzelnen Ländern zu fördern. Politik hat deshalb auf der Messe nichts zu suchen; tourismuspolitische Veranstaltungen hingegen seien etwas anderes, daher erlaubt. Doch wer definiert, was „Politik“ und was „Tourismuspolitik“ ist?

Offensichtlich darf man auf der ITB politisches Informationsmaterial verteilen, wie beispielsweise eine Selbstdarstellung des „Antirassistischen Arbeitskreises“ (ARA), der „gegen Diskriminierung und Rassismus im Tourismus“ zu Felde zieht. Offensichtlich darf aber ein „politischer“ Informationsstand des „Europa-Afrika -Kulturzentrums“ nicht sein, der ein Gegengewicht zum Agitprop-Stand von Südafrika hätte schaffen können. Es wäre zumindest eine Chance gewesen, den Messebesuchern auch einmal die ungeschminkte politische Realität Südafrikas nahezubringen. Dies hätte sicherlich auch die Unterstützung des Regierenden Bürgermeisters Momper gefunden, der bei der ITB-Eröffnungsansprache unter großem Applaus das Bedauern des Berliner Senats aussprach, „daß das Rassistenregime Südafrikas wieder die Möglichkeit bekommen hat, seine Sicht der Dinge auf der ITB selbst darstellen zu können“. Nur öffentlicher Druck, so folgerte Momper, „könne dazu führen, daß das Rassistenregime seine Sicht Südafrikas nicht unwidersprochen darstellen kann“.

Ein Appell an alle (tourismus)kritischen Geister. Doch dieser blieb - zumindest in diesem Jahr - bei der Arbeitsgemeinschaft „Tourismus mit Einsicht“ (TmE) noch ungehört. Diese Initiative, der heute fast dreißig Gruppen aus zehn Ländern angehören, engagiert sich seit Jahren auf der ITB für einen umweltfreundlichen Tourismus. Warum gab es von ihnen keinerlei Stellungnahme zum Reizthema „Südafrika auf der ITB“? „Seit Monaten haben wir an der Obergrenze unserer Kapazität gearbeitet, wobei ein Großteil unserer Arbeit ja ehrenamtlich läuft“, sagt der Koordinator der Arbeitsgemeinschaft, Herbert Hamele. „Da kann man sich nicht um alles kümmern.“ Vielleicht aber doch etwas Muffensausen vor der Messeleitung, die auch der TmE wie allen anderen Ausstellern schriftlich jedwede politische Betätigung auf der Messe untersagt? Wer in der „Höhle des Löwen“ auf der Tourismusbörse tourismuskritisch agieren will, der muß wohl die Kröte der „politischen“ Abstinenz schlucken. Wenn die AG „Tourismus mit Einsicht“ in Wort und Schrift wie viele gewerkschaftliche, Anti-Apartheid- und Dritte-Welt-Gruppen sowie die Berliner SPD und die Alternative Liste „Keinen Stand für Südafrika auf der ITB!“ gefordert hätte, wäre die Messeleitung dann böse geworden? TmE-Mitglied Herbert Hamele will das nicht ausschließen: „Weiß ich nicht, könnte aber schon sein!“

Mechthild Maurer vom „Informationszentrum Dritte Welt“ sieht das Manko: „Südafrika ist bei uns unter den Tisch gefallen.“ Und Marianne Gujer vom „Arbeitskreis Tourismus und Entwicklung“ in Basel fügt hinzu: „Wir haben diese Diskussion bei „Tourismus mit Einsicht“ noch nicht geführt, sollten uns aber grundsätzlich mal mit der Boykottfrage beschäftigen. Im Fall Südafrika kann man nur den Tourismusboykott fordern. Aber wie sieht es bei der Türkei aus?“

Die entscheidende Frage ist, ob es eine „Lex Südafrika“ geben darf, das heißt den Messeausschluß des Rassistenregimes wegen der in der Welt einmalig vorkommenden „ungeheuerlichen und verachtenswerten Apartheidpolitik“ (Momper). Oder wäre diese Maßnahme ein Einfallstor dafür, alle Länder, die gravierende Menschenrechtsverletzungen begehen, von der Reisemesse zu verbannen? Für Hannelore Saibold von den Grünen hätte in diesem Jahr neben Südafrika noch China von der ITB ausgeschlossen werden müssen. Allein die pure touristische Selbstdarstellung von China hinterläßt einen bitteren Nachgeschmack angesichts der noch frischen Bilder des Massakers auf dem Platz des Himmlischen Friedens. Die „Gesellschaft für bedrohte Völker“ protestierte gegen die Teilnahme des von Türken besetzten Nordzypern auf der Tourismusbörse.

Was tun? Richtig ist, daß ein Messeausschluß zum Beispiel Südafrikas, so Hannelore Saibold, nur ein symbolisches Zeichen sei, das noch keine Geschäftsverbindungen unterbinde. Dennoch könnte die Tourismusbranche ein gewisses Signal für die betroffenen Regierungen setzen, daß sie nicht bereit sei, Menschenrechtsverletzungen und Unterdrückungen zu ignorieren. „Die Veranstalter der jeweiligen Messen müßten - eventuell zusammen mit den politisch zuständigen Stellen und mit Dritte-Welt-Gruppen - einen Kriterienkatalog ausarbeiten, nach dem jedes Jahr neu entschieden wird, welches Land unter Umständen von der Teilnahme ausgeschlossen wird.“ (Hannelore Saibold in der Fachzeitschrift 'Fremdenverkehrswirtschaft international‘). Ein bedenkenswerter, wenn auch etwas blauäugiger Vorschlag, bei dem die Tourismusbranche laut aufheulen wird.

Günter Ermlich

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