Die Frage der Notwehr

■ Interview mit Catherine Zins, einer der Cutterinnen von Ophüls‘ „Hotel Terminus“

taz: Marcel Ophüls sagt, Ihr biographischer Hintergund sei dem seinen sehr ähnlich. Können Sie uns davon erzählen?

Catherine Zins: Mein Vater ist jüdisch. Er ist aus Zentraleuropa; um es genauer zu sagen: aus Bielitz in Schlesien. Die Familie meiner Mutter stammt auch aus Österreich. „Klima“ und „Herkunft“, das ist nicht nur Geographie. Das sind auch Kentnisse; im weitesten Sinn eine bestimmte Kultur. Um diesen Faden fortzuspinnen: Ich habe vor fünf Jahren einen Film gemacht - über den ich aber nie mit Marcel gesprochen habe -, der sich um ein Abituriententreffen meines Vaters rankt. Ich war mit ihm in Salzburg, wo das Fest stattfand, und was mich frappierte, war, daß sich vom ersten Moment an eine Spaltung der Festgemeinschaft in Juden und Nicht-Juden abzeichnete. Das war ihnen selbst ein unbehaglicher Fakt, er stand im Raum, ließ sich aber nicht ohne weiteres aus der Welt schaffen. Daraus entstand der Film. Er heißt Matura 31. Das steht zwar nicht in direktem Zusammenhang mit Barbie und Hotel Terminus, aber dieser Themenkreis war mir nicht fremd. Durch diese Geschichte und durch meine Herkunft war Barbie alles andere als neutral für mich. Oft fiel es schwer, den Film abends loszuwerden. Barbie auf dem Bildschirm vom Schneidetisch, das läßt mich nicht unbeteiligt, auch wenn es tausendmal dieselbe Stelle wäre...

Marcel Ophüls erklärt frei heraus, „Hotel Terminus“ sei wesentlich am Schneidetisch erst entstanden. Stärker als seine früheren Filme.

Wir haben in der Montage nichts erfunden. Den Tonfall des Films, den kann man nicht erfinden. Das ist im Material angelegt oder nicht. Auch die Struktur, Interviews gegeneinaner zu schneiden, war ja bereits in der Recherche und in den Aufnahmen enthalten. Der Film hat einen roten Faden und der rote Faden ist Marcel Ophüls. Besonders deutlich wird das an jenen Stellen des Films, die offensichtlich inszeniert sind: Im Hotel von La Paz zum Beispiel, die gestellten Vorbereitungen auf das Interview mit Barbies Leibwächter. Das war übrigens eine Szene, die er gerne rausgeschmissen hätte?

Warum?

Ich glaube, er hatte kein rechtes Vertrauen mehr in das, was die Szene erzählen sollte. Vielleicht erschien sie ihm zu schmierig. Zu prätentiös. Zu hoch gezielt und nicht richtig getroffen. Was dieser Leibwächter de Castro erzählt, bringt ja nicht das Geringste an neuen Informationen, aber dies noch zu betonen und seine Erklärung nicht einfach nur vielleicht mit einigen Relativierungen - durchgehen zu lassen, das bringt auf einer anderen Ebene eine Bereicherung, und zwar mitten durch die Nicht-Information hindurch. Es ist die Inszenierung der Frage nach der Kredibilität. Und das Niveau der Inszenierung entspricht dem Niveau des Gewährsmannes: Das ist Operette, Schmierentheater.

Was war der Grund für die starke Zerstückelung der Zeugenaussagen?

Das ist einerseits eine Frage des Rhythmus; ich glaube, der Film hat keine entscheidenden „Hänger“. Und um diese Stringenz zu erreichen, waren Nachfragen, Unterbrecher, Wechsel einfach notwendig; aber es ist auch eine... sagen wir, eine Notwehr, gegen die Verheimlichungen, Verdrehungen, Lügen und das offensichtliche Vergnügen mancher Interviewpartner, plaudernd mehr Unklarheit zu stiften als etwas auszusagen.

Es ist fast ein running gag, daß Marcel Ophüls immer wieder, sei es in Interviews oder Texten seine Verachtung des Dokumentarfilms deklariert. Trotzdem dreht er...

Ich sehe das ganz einfach: Es grämt ihn, daß man ihn irgendwann auf dieses Rollenfach „Dokumentarist“ festgenagelt hat. Sein Traum ist das große Kino. Er ist darin aufgewachsen. Das ist seine Kindheit, seine Erziehung, seine Jugend. Okay, er bewundert die amerikanische Komödie, Capra besonders... Aber es ist doch nicht wahr, daß man ihn nur anheuert für Filme! Gerade im Moment sitzt er an seinem Buch über Barbie. Das heißt, diese Geschichte rumort weiter in ihm.

Welche bsonderen Schwierigkeiten, abgesehen von der Länge, stellt die Montage von „Hotel Terminus“ dar?

Die Schwierigkeiten lagen zum großen Teil tatsächlich in der Quantität. Die Arbeit stellte große Anforderungen an das Erinnungsvermögen: Dem Gesamtverlauf eines Interviews zu folgen, sich darum zu bemühen, daß einem nichts Wesentliches entgeht und im gleichen Moment auch innerhalb des Films zu denken, mit welchem anderen Segment aus den 81 anderen Interviews könnte das zusammengehen. Nehmen wir Schneider -Merck, warum ist der am Anfang des Films? Er fällt aus der Chronologie, seine Geschichte ist nicht besonders spektakulär, aber dennoch deutet dieser Anfang - wie ein Prolog - schon etwas den sarkasischen Tonfall des gesamten Films an. Es ist auch eine Provokation. Schneider-Merck hat ein ziemlich breites Lachen in dieser Szene, das heißt ein Film über Barbie beginnt mit einem Lachen. Das ist wie eine Probe von Ophüls‘ Handschrift.

Das Gespräch führten Ralph Eue und Gaby Körner